Fast fünf Jahre nach der ersten Ankündigung kommt Shin Megami Tensei V endlich für Nintendo Switch auf den Markt. Der neueste Teil der langjährigen RPG-Reihe von Atlus erzählt eine weitere düstere, postapokalyptische Geschichte, die in einer von Dämonen heimgesuchten Version von Tokio spielt. Als erster brandneuer Shin Megami Tensei-Titel auf einer Heimkonsole seit Nocturne für die PlayStation 2, ist der fünfte Teil nun in der Lage, die Reichweite der historischen Nischen-Serie zu vergrößern. Oder doch nicht? Erfahrt es in unserem Test.
Schulkameraden inmitten eines Krieges zwischen Engeln und Dämonen
Shin Megami Tensei V handelt von einem Highschool-Schüler aus dem heutigen Tokio, dessen Welt kurz vor einem großen Wandel steht. Nach einer Nahtoderfahrung findet er sich in einer neuen Version von Tokio namens Da’at wieder und verschmilzt mit einem mysteriösen Wesen, um Nahobino zu werden. Ein Wesen, das weder Mensch noch Gottheit ist, in der Welt aber bekannt und respektiert ist. Bevor er jedoch in die Einöde gestoßen wird, trifft der Protagonist seine Mitschüler Yuzuru Atsuta, dessen kleine Schwester Miyazu, Tao Isonokami und Ichiro Dazai. Diesen begegnet ihr fortan natürlich auch in Da’at immer wieder und werdet dabei serientypisch vor einige Entscheidungen gestellt, die das Ende und euren Weg dahin stark beeinflussen. Auf dem Weg dahin warten allerhand monströse Dämonen, arglistige Engel und bockschwere Bosse. Außerdem keht ihr dem „realen“ Tokio nicht direkt für den Rest des Spiels den Rücken. Nach ca. 8h Spielzeit verlagert sich das Geschehen nämlich wieder in die vermeintlich echte Welt und ihr werdet einer Art Spezialkommando aus Dämonenjägern zugeteilt. Doch da wir euch hier nicht zu viel verraten wollen, gehen wir nicht zu sehr ins Detail. Erwartet aber besonders als Fan der Vorgänger einige wirklich coole Wendungen und Verweise auf Bekanntes, wenn es zwischen beiden Welten immer wieder hin und her geht.
Eines vorab, Atlus hat keine der Persona-Elemente übernommen, um die Verkaufszahlen anzukurbeln. Es ist immer noch ein Spiel, in dem es um die Apokalypse geht und in dem Religion und Mythologie eine große Rolle spielen. Veteranen der Serie werden sich wie zu Hause fühlen, das Kampfsystem weist aber immer noch genügend Verbindungen zu Persona auf, so dass sich auch Spieler, die aus dieser Serie kommen, schnell eingewöhnen werden.
Klassische Dungeons weichen neuen offenen Welten
Einige haben sich bei dem vor kurzem erschienenen Shin Megami Tensei III Nocturne HD Remaster sicher an den eher eintönigen und häufig ähnlich aufgebauten Dungeons gestört. Und auch wenn mich diese nie wirklich störten, kann ich den Kritikpunkt durchaus nachvollziehen. Denn sowohl der Aufbau als auch die zufallsgenerierten Kämpfe sorgen heutzutage einfach für viele eher für Stress und Frust, als dass sie eine willkommene Herausforderung darstellen. Aber Da’at wirft das aus dem Fenster! Die große, offene Welt ist selbst der Dungeon, in dem Dämonen umherstreifen, um Kämpfe zu initiieren. Das Vorhandensein von Hügeln, Steinen oder umgestürzten Gebäuden, auf denen man laufen oder in die man springen kann, verleiht der Erkundung ein Gefühl der Vertikalität, das für die SMT-Reihe völlig neu ist. Zum ersten Mal erforsche ich nicht nur in der Hoffnung, einen coolen Gegenstand zu finden. Ich erforsche, weil es einfach Spaß macht. Und wenn dann noch riesige Gegner innerhalb offenen Welt umherfliegen oder -laufen, die am Anfang viel zu stark sind, aber einfach zur Atmosphäre beitragen, dann verleiht dies den Arealen wirklich Charakter.
Davon abgesehen bietet Shin Megami Tensei V immer noch einige klare und hervorragende Anreize, sich Zeit zu nehmen und sich umzusehen. Zunächst einmal gibt es Gegenstände oder Schätze zu finden sowie verschiedene Nebenquests. Diese werden euch von verschiedensten Kreaturen der Welt auf aufgetragen. Das reicht von simplen „Töte Monster X“ bis zu Besorgungen bestimmter Gegenstände, kleinerer Storys, bei denen ihr entscheiden müsst wer Recht hat und überlebt sowie weitere. Die Besonderheit dabei ist, dass die Aufgaben und Auftraggeber sich dabei toll in die Umgebung einfügen und zur Welt beitragen. Dazu gibt es noch 200 sogenannte „Miman“ in der Welt versteckt. Kleine rote Kerle, die euch jedes Mal, wenn ihr sie findet, eine Währung namens Ruhm geben. Mit Ruhm werden Wunder freigeschaltet, die eine Vielzahl wichtiger Vorteile für das Spielgeschehen bieten. Beispiele für Wunder sind die Erweiterung der Anzahl von Fertigkeiten, die Nahobino oder eure Dämonen ausrüsten können; die Erweiterung der Anzahl von Dämonen, die man in der Gruppe haben kann oder spezielle Boni beim Fusionieren. Weitere Wunder erhält man dabei, indem man „Abszesse“ zerstört, riesige abstrakte Objekte, die eure Map verhüllen und als Mini-Bosse fungieren.
Ein Sammelwahn, der nicht an Spaß verliert
Des Weiteren gibt es überall in der Umgebung grün, gelb und rot leuchtende Kugeln, die mit der Zeit auch respawnen und HP und MP wiederherstellen bzw. die Magatsuhi-Anzeige erhöhen können. Die rote Magatsuhi-Leiste dient euch im Kampf übrigens, um besondere Spezialangriffe oder Buffs zu wirken. All diese Kugeln stellen quasi sicher, dass euch die Ressourcen nie komplett ausgehen und ihr in eine ausweglose Situation geratet, was für ein SMT überraschend ist. Komplett heilen könnt ihr euch übrigens mittels Bezahlung an Speicherpunkten, die euch ähnlich zu den Leuchtfeuern in Dark Souls aber auch noch weitere Möglichkeiten bieten, wie zum Beispiel die bereits erwähnten Wunder zu erwerben. Ihr könnt auch Gegenstände bei einem Händler kaufen & verkaufen, Miman abgeben, um Belohnungen zu erhalten, euch frei zu einem anderen Speicherpunkt teleportieren oder Dämonen-„Essenz“ verwenden, die ihr bei der Erkundung gefunden habt, um Nahobino oder euren Dämonen neue Fähigkeiten oder Resistenzen einzuverleiben. Und natürlich die aus der Serie bekannten Fusionen eurer Dämonen, welche dieses mal ohne den schrulligen Mido auskommen, samt Kompendium.
Die Menüs fühlen sich dabei auf den ersten Blick vielleicht komplex an, aber ironischerweise liegt das nur daran, dass es einem möglichst viele Optionen für die Anzeige aller Informationen geben will. Das Spiel wirft eine Menge Daten auf einen, aber schon bald findet man sich darin zurecht, weil sich durchaus viele Gedanken über das Menüdesign gemacht wurden. Es ist sicher nicht perfekt und sieht etwas sehr an das aus Tokio Mirage Sessions angelehnt aus, aber es funktioniert super. Das Spiel zeigt während der Erkundung sogar standardmäßig die Werte eures Charakters auf dem Bildschirm an, damit man immer weiß, wie fit man für den nächsten Kampf ist.
Knackig, taktisch und wunderbar belohnend – die Kämpfe
Die rundenbasierten Kämpfe und die Charakterwerte in Shin Megami Tensei V sind denen in IV Apocalypse sehr ähnlich. Allerdings mit einigen Änderungen, die durchweg positiv sind. Das Press Turn Battle System kehrt zurück, bei dem das Ausnutzen von Schwächen des Gegners oder das Erzielen von kritischen Treffern Bonusrunden gewährt, während die Verwendung von Fertigkeiten, gegen die der Gegner immun ist, oder das Verfehlen von Angriffen zu einem Abzug von Runden führt. Waffen und „Smirks“ aus IV sind jedoch verschwunden, was die Sache vereinfacht. Außerdem gibt es das bereits erwähnte Magatsuhi-System, mit dem man ultimative Fähigkeiten erhält. Aber auch die Feinde machen davon Gebrauch. Neu ist auch, dass viele der Dämonen einzigartige Skills besitzen, wie beispielsweise das Jack Bufula eines Jack Frosts. Man hat einfach das Gefühl, dass Änderungen vorgenommen wurden, um die Dinge für den Spieler leichter zu machen, aber nie in einem solchen Ausmaß, dass sich das Spiel zu leicht anfühlt. Zum Beispiel wird bei der Weitergabe eines Zuges dieser wie eine Bonusrunde angesehen. Gibt man den Zug nun direkt erneut weiter, verschwand diese Bonusrunde bisher immer, doch bleibt in SMT V bestehen. Somit kann man kleinere Fehler viel leichter ausbügeln. Apropos, das Spiel hat drei Schwierigkeitsgrade und ein vierter, superleichter Schwierigkeitsgrad wird zum Start hinzukommen.
Neben der Fusion könnt ihr euch neue Dämonen auch wie in der Vorgängern anlachen, indem ihr während des Kampfes mit ihnen verhandelt und versucht, die richtigen Dinge zu sagen sowie mit Items zu überhäufen, damit sie sich euch anschließen. Es ist das gleiche alte Spiel von Trial and Error, das sich so frustrierend zufällig anfühlt wie immer. Ehrlich gesagt hasse ich es ein wenig. Abgesehen davon fühlt sich die Mechanik aber hier insgesamt etwas nachsichtiger an als in früheren Teilen. Die Dämonen sind hier wie schon in IV Apocalypse außerdem von Natur aus besser oder schlechter darin, bestimmte Arten von Fertigkeiten zu nutzen. Bedeutet, dass wenn ein Dämon gut mit Heilkräften umgehen kann, dieser direkt ein Dia+2 in petto hat und so auch weniger MP dafür nutzen muss. Was mir in den Kämpfen übrigens besonders gut gefällt, sind die Animationen, wenn ein Gegner das Zeitliche segnet. Genau wie in Apocalypse richtet sich das nämlich nach dem finalen Angriff und so geht ein von Agi(Feuer) getroffener Gegner auch komplett in Flammen auf, während der nächste sich durch Bufu(Eis) in einen Eisklumpen verwandelt und zersplittert. Das sah bereits in Teil IV in 2D gut aus und wirkt auch hier sehr stimmig und cool.
Das richtige Spiel auf der falschen Konsole
Da es sich hier um das erste exklusiv für die Switch erscheinende Shin Megami Tensei handelt, bleibt natürlich die Frage nach der Performance. Und ich muss sagen, es ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite gibt es wirklich hübsche Charaktermodelle, toll inszenierte Zwischensequenzen und Animationen sowie ein flüssiges Erkunden der Welt. Auf der anderen Seite haben wir sich sehr häufig in der Detailansicht erst aufbauende Texturen, besonders wenn ihr euch die Modelle der Dämonen anschaut. Oder die Tatsache, dass ihr bei Gegnern in der Ferne die Frames wirklich zählen könnt, so unglaublich hakelig sieht das aus. Auch der generelle Look ist etwas unscharf, um wahrscheinlich keine Einbrüche der Bildrate zu riskieren. Daran gewöhnt man sich schnell und es ist keinesfalls ein hässliches Spiel, aber ich würde mir dennoch eine baldige Umsetzung für andere Konsolen oder eine Switch Pro wünschen.
Der Soundtrack ist übrigens wieder einmalig und sorgt dafür, dass ihr während eines Bosskampfes mit Gitarrenklängen richtig aufgepumpt werdet. Er erinnert an einen Mix aus den obskuren Klängen aus IV und Apocalypse, weiß aber auch mit ruhigen Klängen zu überzeugen. Generell wurde hier ein großartiger Job gemacht und als ich das erste mal die Karte der Stadt betrat und der Musik lauschte, musste ich mit Gänsehaut einen Moment innehalten, da es so ungeahnt nostalgisch und doch neu und frisch klingt. Auch die englischen und japanischen Stimmen machen wieder einen tollen Job und lassen sich wahlweise von euch einstellen.
Insgesamt hat Shin Megami Tensei V tatsächlich mehr mit Nocturne als mit IV gemeinsam, was das HD-Remaster plötzlich wie einen noch klügeren Schachzug von Atlus erscheinen lässt. Sogar die Mondphasen sind wieder mit dabei, auch wenn sie sich auf das eigentliche Gameplay in diesem Spiel weniger auswirken. Sogar die aus Nocturne bekannten Terminals tauchen auf, auch wenn wir euch den Kontext dazu vorenthalten wollen. Unabhängig davon fühlt sich Shin Megami Tensei V aber wie eine perfektionierte Mischung aus den Vorgängern an und ist dank der neuen unterhaltsamen Erkundungselemente eine fantastische Erweiterung des Franchises. Leider gibt es typisch für die Serie daher aber auch nur wenig wirklich neue Dämonen. Somit haben Veteranen wiederum aber einen Vorteil, da viele der Gegner ihre bekannten Schwächen und Eigenheiten beibehalten haben. Das betrifft aber keine Designs innerhalb der Story und die Dämonen, die komplett neu sind, wurden wirklich hervorragend umgesetzt.
Fazit
Shin Megami Tensei V fühlt sich wie eine natürliche Symbiose aus Nocturne und Apocalypse an, packt obendrauf aber noch einiges an Neuerungen, verbesserten Features und merzt vergangene Probleme aus. Die Vertikalität und das Sammeln sind extrem spaßig, die Story bietet genug Wendungen, ist dabei aber mit jedem Pfad spannend erzählt und bietet interessante Charaktere. Wer also mit dem HD-Remaster von Nocturne den Einstieg in die Hauptserie noch nicht geschafft hat, sollte es in jedem Fall mit dem fünften Teil probieren. Schade nur, dass es sich durch die Exklusivität auf der betagten Switch selbst zurückhält.
Shin Megami Tensei V erscheint am 12. November 2021 für die Nintendo Switch.
Positiv:
+ toll die Kritikpunkte der Vorgänger verbessert
+ bleibt den Wurzeln der Serie aber treu
+ Vertikalität beim Erkunden
+ bereits großartiges Kampfsystem weiter ausgebaut
+ sagenhafter Soundtrack
+ Sammeln, fusionieren und freischalten neuer Fähigkeiten, Wunder etc. motiviert ungemein
Negativ:
– zu wenig neue Dämonen
– Frames bei Gegnern aus der Ferne zählbar
– spät ladende Texturen im Statusbildschirm
– Überreden der Dämonen ist häufig reine Glückssache