Es war nie einfach, an das großartige 13 Sentinels anzuknüpfen, aber das japanische Studio Vanillaware hat es irgendwie geschafft, drei Jahre später ein ebenso exzellentes Spiel zu produzieren, und es ist nicht einmal im selben Genre angesiedelt. Doch mehr dazu natürlich in unserem Test zum Taktik-Wunder Unicorn Overlord.
Flache Story, die durch Stil und Charaktere gerettet wird
Unicorn Overlord ist ein Strategie-Rollenspiel, das sich offensichtlich von Klassikern wie Fire Emblem und Ogre Battle & Tactics Ogre inspirieren lässt. Es hat einen unverkennbaren Hauch von alter Schule, aber es trieft vor dem charakteristischen Kunststil des Entwicklungsteams und ist mit einem modernisierten Design ausgestattet. Wie bei Dragon’s Crown greift Vanillaware auf ein bewährtes Konzept zurück, aber der Mangel an Originalität hindert den Titel nicht daran, ein sehr erfüllendes Abenteuer zu sein. Das Spiel ist in einer mittelalterlichen Fantasiewelt angesiedelt, in der es magische Artefakte, Elfen und sogar große pelzige Löwenmenschen gibt, doch die Handlung kann mit dem Rest des Pakets nicht ganz mithalten. Der fürstliche Protagonist Alain ist so flach, wie ein rachsüchtiger König nur sein kann, und die Erzählung ist größtenteils zu trocken und ernst. Das ist insgesamt alles nicht schlecht, aber abgesehen von einigen besonders dramatischen Szenen fesselt es einen nur selten an den Bildschirm.
Aber genau wie in Fire Emblem ist es die umgebende Besetzung, die euch durchbringen wird. Unicorn Overlord bietet über 60 rekrutierbare Helden in einer Kampagne, die rund 50 Stunden dauert und die meisten von ihnen werden euch ohne Zweifel ans Herz wachsen. Einige Charaktere werden durch die Hauptgeschichte eingeführt und spielen eine bestimmte Rolle, aber viele werden durch Nebenquests gefunden – optionale Kämpfe, die oft genauso wichtig für die Gesamthandlung sind. Im Laufe des Spiels tauchen immer wieder neue Helden auf, und die Aufnahme neuer Verbündeter in deine Armee wird schnell zu einem der fesselndsten Elemente des Spiels.
Brilliant, eingängig und tiefgehendes Gameplay
Das liegt daran, dass die wahre Brillanz von Unicorn Overlord in seinem Gameplay-Loop liegt. Es leistet hervorragende Arbeit, um den Ball am Rollen zu halten; es gibt immer eine neue Taktik zu bedenken oder einen neuen Helden zu entfesseln. Selbst wenn ihr euch dem letzten Akt des Titels nähert, werdet ihr immer noch mit bisher unbekannten Einheitentypen und Fähigkeiten konfrontiert, die eure strategische Perspektive völlig verändern können. Es gibt nicht viele Rollenspiele, bei denen man sagen kann, dass das Partymanagement tatsächlich ein Höhepunkt des Erlebnisses ist, aber in Unicorn Overlord ist das Herumbasteln an deinen Truppen wirklich packend. Es ist das relativ einzigartige Einheitensystem des Spiels, das all das möglich macht. Anstatt einzelne Charaktere zu verwenden, gruppiert man seine Helden, um Trupps zu bilden und die Kombinationen sind praktisch endlos. Ihr könnt ausgewogene Gruppen bilden, mit schadensträchtigen Kämpfern in der vorderen Reihe, die von Bogenschützen und Heilern in der hinteren unterstützt werden, oder ihr könnt euch für spezialisierte Killerkommandos entscheiden, die bestimmte Gegner in Stücke reißen, die Wahl liegt immer bei euch. Zu Beginn könnt ihr nur zwei oder drei Einheiten erstellen, die jeweils aus zwei Kämpfern bestehen.
Im Laufe der Kampagne schaltet ihr jedoch nach und nach weitere Trupps frei, während eure bestehenden Gruppen eine maximale Kapazität von fünf Charakteren erreichen können. Die Kämpfe finden dabei in Echtzeit statt, aber das Spiel kann jederzeit angehalten werden und stoppt automatisch, wenn ein Befehl erteilt wird. Die Karten sind größtenteils linear aufgebaut, ihr kämpft euch von Garnison zu Garnison und nehmt sie dabei ein, aber zusätzliche Hürden wie Barrikaden und Katapulte werden nach und nach in die Formel eingebaut. Sobald zwei gegnerische Einheiten aufeinander treffen, läuft der eigentliche, rundenbasierte Kampf automatisch ab. Die Charaktere handeln auf der Grundlage ihrer festgelegten Taktiken, im Wesentlichen Verhaltensweisen, die optimiert werden können samt klassenspezifischen Fähigkeiten, die sie ausgerüstet haben. Auch hier ist die gebotene Tiefe und die verfügbaren Anpassungsmöglichkeiten wirklich gewaltig.
Zum Beispiel erleiden die Greifsritter in der Luft enormen Schaden durch Bogenschützen, aber Bogenschützen sind unwirksam gegen schildtragende Infanterie. Es ist zwar nie so simpel wie das Waffendreieck in Fire Emblem, weil es einfach so viele verschiedene Klassen gibt, aber im Großen und Ganzen bilden Stärken und Schwächen immer noch die Grundlage des Kampfsystems von Unicorn Overlord. Unser einziger Kritikpunkt an den Kämpfen ist, dass sich die Kämpfe vor allem im späteren Spielverlauf sehr langwierig anfühlen können. Wenn man eine Einheit aus fünf Charakteren hat, die gegen fünf andere Charaktere kämpft, und jeder von ihnen Zugang zu einer Fülle von Aktionspunkten hat, weil sie so hochstufig sind, kann man sich diese Scharmützel minutenlang ansehen. Es ist zwar sehr befriedigend zu sehen, wie die Helden, die man so sorgfältig aufgezogen hat, den Sieg davontragen, aber längere Kämpfe sind der Fluch für weniger geduldige Spielende.
Nichts für Ungeduldige
Zum Glück gibt es eine Vorspultaste, wenn es zu langweilig wird und es gibt sogar eine Option, Kampfszenen zu überspringen, wenn man genau weiß, wie die Dinge ausgehen werden. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass das Spiel vor jeder Begegnung einen kurzen Überblick der Lage gibt. Auf einen Blick werden euch die ein- und ausgehenden Schadenssummen angezeigt, was euch dabei hilft, festzustellen, ob sich ein Kampf mit einer bestimmten Einheit wirklich lohnt oder ihr lieber schnell zu einer benachbarten Einheit wechseln wollt. Eine sehr durchdachte Zeitersparnis. Außerhalb des Kampfes bewegt man sich als Alain auf einer riesigen Oberweltkarte, die jedoch nicht völlig offen ist. Man kann sich zwar bis zu einem gewissen Grad seinen eigenen Weg bahnen, und es gibt jede Menge optionale Sehenswürdigkeiten zu sehen, aber man wird oft in die Richtung des nächsten Story-Abschnitts gedrängt. Dennoch hilft die große Welt, die es zu erkunden gilt, Unicorn Overlord dabei, seine Geschichte zu erden, und in diesem Sinne fühlt es sich viel mehr wie ein traditionelles Rollenspiel an als seine Konkurrenten, denn man sieht direkt immer die Früchte der eigenen Kriegserfolge.
Fazit
Unicorn Overlord bringt ein klassich anmutendes Taktik-RPG auf ein neues Level. Es sieht fantastisch aus, hat ein süchtig machendes Gameplay-Prinzip und bietet einen umfangreichen Pool an interessanten Charakteren mit wiederum neuen Fähigkeiten für den Kampf. Wer damit genug hat und keine überraschende Story abseits von Genre-Klischees erwartet, wird hier enorm viel Spaß haben.
Positiv:
+ Einheiten-Management macht süchtig
+ großartiger Gameplay-Loop
+ wunderschöne 2,5D-Optik
+ viele Charaktere mit eigenen interessanten optionalen Geschichten
+ bietet immer wieder neue Ansätze, um nicht langweilig zu werden
Negativ:
– Hauptstory ist vorhersehbar und wenig interessant
– leider nicht alles vertont
– spätere Gefechte können etwas zu lang sein