Inzwischen ist der Release von Cyberpunk 2077 fast drei Jahre her (hier unser damaliger Test) und es hat sich viel getan in Night City! Entwickler CD Project Red hat sich unzählige Male entschuldigt, nachgebessert, Gratis-DLCs angeboten und allen den Mund nach dem Add-On Phantom Liberty wässrig gemacht. Doch nach den vielen enttäuschten Erwartungen zum Release, stellt sich die Frage, ob man diesmal mit einem fertigeren Produkt aufwarten kann. Natürlich wird diese Review spoilerfrei gehalten und geht in Sachen Story über keinen der bekannten Trailer hinaus.
Vorneweg jedoch noch ein kleiner Disclaimer: Cyberpunk 2077 war für mich persönlich auf vielen Ebenen sein Geld zum Release nicht wert, sei es wegen der Bugs, des seltsamen Skilltrees, der für mich zu geradlinigen Story oder der persönlichen Abneigung gegenüber dem Charakter Johnny Silverhand, der eine so große Rolle mit seiner Eindimensionalität nicht wirklich füllen konnte. Aus diesen Gründen war ich aber auch mehr als gespannt, ob Phantom Liberty bzw. das Update 2.0 mit all seinen Änderungen für mich (stellvertretend für die damaligen und heutigen großen Kritiker) das Ruder herumreißen kann und vielleicht sogar dazu motiviert, das Hauptspiel erneut zu beginnen.
Dogtown bringt neues Leben in die Bude und auch Änderungen für Spieler ohne Add-On
Die harten Fakten zu Phantom Liberty lesen sich auf jeden Fall schon einmal gut: Ein neuer Stadtteil namens Dogtown wird freigeschaltet, sobald man im Hauptspiel die Questreihe der Voodoo Boys erledigt hat. Dort gibt es 13 neue Missionen und 17 Nebenquests zu entdecken, die teilweise auch die Gebiete der Hauptquests miteinbeziehen. Auch eure Connections können hin und wieder angepiept werden, um an Infos zu gelangen. Daneben gibt es natürlich auch neue Gegenstände und Klamotten zu finden, und wer ziellos durch die Stadt fährt, darf in neuen Open World Events z.B. abgeworfene Container erobern.
Auch neue Perks sind verfügbar, die im sogenannten „Relic“ Tree mit speziellen Punkten ausgewählt werden können: Beispielsweise können die Mantis Blades oder die Gorilla Arme mit zusätzlichen Fähigkeiten ausgestattet werden. Und wie der Name des Talentbaums vermuten lässt, sind diese Fähigkeiten durchaus stark und es macht Sinn, die Punkte von in Dogtown verteilten Terminals einzusammeln. Und je nachdem, wie man die Story von Phantom Liberty abschließt, erwartet einen sogar ein neues Ende für das Hauptspiel.
Abseits dessen gibt es auch zusätzliche Verbesserungen im Spiel, die im Zuge des 2.0 Updates allen Current-Gen und PC-Spielern verfügbar gemacht werden. Wer also noch auf der PS4 oder Xbox One spielt, guckt leider in die Röhre. Diese Änderungen erweitern bzw. verändern das Hauptspiel sehr sinnvoll. Man kann z.B. endlich von Fahrzeugen aus mit Pistolen und Revolvern schießen und die Polizei sucht einen, ähnlich wie in GTA, nun mit einem Fahndungssystem, bei dem immer größeres Gerät zum Einsatz kommt, umso stärker ihr euch widersetzt. Auch die bestehenden Talentbäume wurden komplett überarbeitet und sinnlose Skills fielen weg. Und glücklicherweise verbraucht sich Ausdauer nun jetzt nur mehr beim Angreifen und nicht beim Laufen.
Songbird bitte kommen
Doch um was geht es denn nun inhaltlich in Phantom Liberty? Wie oben bereits erwähnt, geht es ab dem Abschluss der Voodoo-Boys-Questlinie los. Praktisch: Wer keinen passenden Spielstand hat, kann direkt an dieser Stelle einen neuen Charakter mit passendem Level erstellen und muss nicht ganz von vorn beginnen! Eine Netrunnerin namens Songbird funkt euch an und bittet euch zum Grenzübergang nach Dogtown in Pacifica zu kommen.
Sie taucht dann vor euch als Engramm auf und ist, wie Johnny Silverhand, nur für euch zu sehen. Ihre erste Amtshandlung besteht dann auch darin, Johnny stumm zu schalten, da sie euch über das Relic Implantat gehackt hat, um so eine Verbindung zum Protagonisten V aufzunehmen. Dabei macht sie ihm auch Hoffnung, dass sie eine Lösung für das Implantatsproblem hat.
Während einer kurzen Schleichpassage zum Grenzüberschreiten überschlagen sich dann aber die Ereignisse und es wird klar, was auf dem Spiel steht: Die Präsidentin der New United States of America und auch Songbird befinden sich in der gehackten Präsidentenmaschine Space Force One, die in Dogtown abstürzen wird. Vs Aufgabe ist es nun Präsidentin Myers vom Einschlagsort zu eskortieren. Doch irgendwann bricht auch die Verbindung zu Songbird ab und damit die potentielle Rettung für V. Im weiteren Verlauf der Story lernt ihr Solomon Reed (verkörpert und hervorragend vertont von Idris Elba (u.a. bekannt aus Suicide Squad und dem Fast & Furious Spinoff Hobbs & Shaw), einen Geheimagenten der Federal Intelligence Agency (FIA), kennen und versucht Songbird zu retten. Dabei kreuzt ihr den Weg des Herrschers von Dogtown, Kurt Hansen, einem Ex-Militech-Söldner, der sich im Zuge einer Operation in Night City weigerte, die Stadt zu verlassen und daher Dogtown besetzt hält. Wie sich hier bereits erkennen lässt, ist die Schlagzahl in Phantom Liberty hoch und es entwickelt sich tatsächlich ein spannender Agententhriller.
In Dogtown sind die Regeln anders
Statt der Polizei patrouilliert BARGHEST, Kurt Hansens Söldnertruppe, in den Straßen und der Zustand des Viertels ist – nett ausgedrückt – miserabel. Aber die Freiheit ohne Konzerne zu leben oder sich vor der Strafverfolgung zu verstecken, scheint die Leute nach Dogtown zu ziehen. Und daher gibt es auch neben der Hauptstory viel zu tun! Eine Nebenmission macht euch z.B. zum Helfer einer Braindanceproduktion. Allerdings glaubt einer der beiden Firmenmitarbeiter durch einen Unfall, dass er eine bekannte Hauptdarstellerin ist.
Solche humoristisch angehauchten Missionen lockern das Geschehen etwas auf, sorgen für Erfahrungspunkte sowie Geld und sind durchaus gut geschrieben. Inhaltlich und vom Gameplay gibt es aber keine großen Veränderungen zum Hauptspiel. Kuriermissionen, etwas Dialog und meistens noch eine gewalttätige Auseinandersetzung sind immer noch die Kernelemente. Die Rezeptur funktioniert, aber erreicht leider nicht das Niveau der Sidequests von The Witcher III. Dadurch bleiben viele der Nebenfiguren auch nicht wirklich in Erinnerung.
Technik, Umfang und der ganze Rest
CD Project Red hatte inzwischen genug Zeit, mithilfe von normalen Patches und dem DLC Cyberpunk 2077 gerade zu biegen. Und das merkt man auch! In unserem Test auf PS5 und PC ist uns Phantom Liberty genau ein mal abgestürzt. Kleinere Probleme wie Clipping-Fehler, die absolut nicht ins Gewicht fallen, kamen auch nur noch ganz, ganz selten vor. Und auch die „T-Pose“, für die Cyberpunk lange Zeit bekannt war, ist nicht mehr zu entdecken. Wer sich also vor allem an den technischen Gebrechen des Originalspiels gestört hat, sollte jetzt ein zufriedenstellendes Erlebnis genießen dürfen
Ebenso ist auch das In-Game-GPS wesentlich besser geworden: Immer noch nicht perfekt und vor allem nicht effizient in der Routenwahl, aber definitiv brauchbarer als noch vor fast drei Jahren. Und wenn wir schon beim Autofahren sind: Es fühlt sich immer noch so an, als ob manche der Fahrzeuge eine Art Aquaplaning-Simulator eingebaut haben. Das macht Verfolgungsjagden und auch einfaches Fahren durch die Gegend sehr anstrengend. Aber zumindest darf man nun endlich aus dem Auto schießen! Ansonsten gibt es nun seit Patch 1.6 auch Minispiele in Night City in Form von Arcade-Automaten und es kommt mit dem 2.0-Update noch eines hinzu. Gerade solche Kleinigkeiten tragen stark zur Glaubwürdigkeit der Welt bei und bieten Abwechslung neben den Missionen. Etwas, das dem Hauptspiel zum Release einfach gefehlt hat. Trotzdem ist das Thema Immersion immer noch eine große Baustelle, weil es einfach zu wenig „sinnlose“ Nebentätigkeiten gibt, sodass die Stadt lebendiger wirkt.
Zum Umfang von Phantom Liberty ist zu sagen, dass geübte Spieler, die jede Nebenaufgabe ignorieren, bereits in elf Stunden durch die Hauptmissionen durch sind, sofern sie den kürzesten Weg durch die Story wählen. Mit einem gemütlicherem Ansatz und mit mehr Nebenmissionen, kamen wir, inklusive dem neuen Ende der Hauptstory, auf ca. 21 Stunden. Wer dagegen alles sehen will, was das Addon zu bieten hat, wird noch einige Stunden mehr darauf legen können. Das ist für einen Preis von 30€ zum Release sehr fair. Nur die Geradlinigkeit der meisten Missionen trübt die Wiederspielbarkeit ein wenig, da man mit gezieltem Speichern Alternativwege auch erkunden kann, und uns – mit einer Ausnahme – keine langfristig wichtigen Entscheidungen aufgefallen wären.
Fazit
CD Projekt Red hat mit Phantom Liberty etwas geschafft, dass ich persönlich nicht mehr für möglich gehalten habe: Es hat mich nochmal dazu motiviert, einen Charakter zu erschaffen und Night City zu erkunden. Die Verbesserungen im Laufe der Jahre und durch das Update 2.0 rechtfertigen den erneuten Besuch. Tiefgreifendere Bugs waren nicht mehr zu finden und die restlichen Änderungen runden viele der Ecken und Kanten des Hauptspiels ab. Das Addon selbst überzeugt mit einer spannenden Geschichte, qualitativ hochwertigen Sprechern und interessanten Missionen. So gesehen ist also nichts wirklich schlecht an Phantom Liberty – es ist nur so, dass immer noch altbekannte Baustellen am Gesamtprodukt Cyberpunk 2077 zu finden sind. Fans können unbesorgt zugreifen, alle anderen sollten zumindest einen Blick darauf werfen
Positiv
- Spannende Agenten-Story in den Hauptmissionen
- Die Hauptcharaktere sind einprägsam und hervorragend vertont bzw. dargestellt
- Sinnvolle Änderungen im Zuge des Updates 2.0 Updates für Current-Gen-Konsolen und PC
- Technisch endlich so, wie es sein sollte
- Weniger egozentrischer Johnny Silverhand im Kopf von V
Negativ
- Wie im Hauptspiel sind viele Entscheidungen nur sehr kurzfristig wichtig
- Nur ein zusätzliches Ende des Hauptspiels
- Nebencharaktere bleiben nicht wirklich in Erinnerung
- Immer noch viel Potential in Sachen Nebentätigkeiten, die zur Immersion beitragen würden