Wer Danganronpa gespielt hat und den Namen der Reihe hört, wird unwillkürlich an dessen Maskottchen Monokuma denken, der in jedem Teil 16 unfreiwillige Mitspieler gemeinsam einsperrt und sie zu einem wahnwitzigen Todesspiel zwingt: Wer einen Mord begehen kann, der ungelöst bleibt, wird freigelassen. Sollte der Mörder allerdings in dem anschließenden obligatorischen Untersuchungsverfahren entlarvt werden, wird er eiskalt von Monokuma zur Strecke gebracht. Man kann sich hier die Anschuldigungen, Beweis-Plädoyers und Wortgefechte, in denen es um Leben und Tod geht, sehr bildlich vorstellen. Mit Danganronpa V3: Killing Harmony hat Entwickler Spike Chunsoft der Reihe jedoch 2017 ein Ende gesetzt, um Platz für eine neue Franchise zu machen, die aber ganz offensichtlich die DNS von Danganronpa trägt: Master Detective Archives: Rain Code. Wir durften diesen brandneuen Titel bereits ausgiebig testen und berichten euch nachstehend unsere Eindrücke zu dem Murder-Mystery-Spiel.
Jungfrau, Detektiv, männlich sucht… Shinigami
Wieder einmal mit Gedächtnisschwund am Bahnhof aufgewacht? Wenn ihr diese Situation kennt, geht es euch genau wie dem Protagonisten von Rain Code, Yuma Kokohead. Obwohl er keine Erinnerungen hat, findet er schnell heraus, dass er Mitglied der World Detective Agency ist und ein Ticket für den in Kürze abfahrenden Amatersu-Express besitzt. Und wirklich schafft es Yuma noch, in den Zug zu steigen, um dort ganze sechs andere Kollegen seiner Zunft anzutreffen. Doch bereits hier gibt es bereits Unstimmigkeiten, denn eigentlich sind nur sechs Detektive für diese Reise vorgesehen – es befindet sich also ein Hochstapler an Bord!
Der ursprüngliche Verdacht wird zur schrecklichen Realität, als plötzlich alle Zuginsassen tot und verbrannt von Yuma in den verschiedenen Waggons aufgefunden werden. Bereits hier wird der Spieler vor ein Mordrätsel von schrecklichem Ausmaß gestellt. „Das Massaker im Amaterasu-Express“ dient hierbei als Prolog für Rain Code, dessen Geschichte eigentlich erst so richtig losgeht, sobald der Zug am Zielort, Kanai, eingetroffen ist.
Inzwischen gibt sich auch euer ständiger Begleiter Shinigami, ein niedlicher Gott des Todes, zu erkennen. Dieser erzählt Yuma, er hätte seine gesamten Erinnerungen in einem Pakt mit ihm aufgegeben hat. Dafür kann er nun jederzeit auf Shinigami und dessen Fähigkeiten zählen, die sich im weiteren Spielverlauf noch als sehr nützlich erweisen werden. Doch zuerst gilt es die Friedenswächter, die auf den ankommenden Zug warten, zu überzeugen, dass nicht Yuma selbst der Verantwortliche hinter dem Zug-Massaker ist. Bei den sogenannten Friedenswächtern handelt es sich übrigens um die offiziellen Ordnungshüter des Kanai-Bezirks, die allerdings absolut korrupt und zwielichtig sind, und abseits der Mörder als Antagonisten des Spiels dienen.
Glücklicherweise findet Yuma auch Verbündete: Yakou Furio als schusselige Leiter der Master-Detective-Agency-Abteilung im Kanai-Bezirk holt euch vom Bahnhof ab und stellt euch in weiterer Folge die anderen eingetroffenen Detektive vor: da wären die blitzgescheite Halara Nightmare, der lüsterne Desuhiko Thunderbolt, die eigentümliche Fubuki Clockford und der lethargische Vivia Twilight. Jeder von ihnen besitzt eine übernatürliche Spezialfähigkeit, genannt „Forte“, die ihnen dabei helfen, Mordfälle zu lösen. So kann beispielsweise Halara den Tatort per Retrokognition so sehen, wie er zum ersten Mal aufgefunden wurde. Desuhiko kann sich wiederum als jede beliebige Person tarnen, egal ob Mann oder Frau. Das Beste daran ist aber, dass Yuma mit seiner „Forte“ die Fähigkeiten seiner Kollegen kopieren kann, indem er ihre Hand hält – so gestaltet sich die Ermittlung für jeden Fall anders!
Bereits für den echten ersten Fall (nach dem Amaterasu-Express) benötigt Yuma die Hilfe von Halara: Anscheinend treibt ein Serienmörder namens „Nail Man“ in Kanai sein Unwesen und spielt dabei auf eine düstere Legende an, nach der man nur in den Wald gehen muss, dort eine Puppe mit dem Namen des gewünschten Opfers an den Baum schlägt und der „Nail Man“ erledigt dann den Rest – indem er die Person mit dicken Nägeln tötet.
Rain Code fährt bereits hier schwere Geschütze auf: mehrere Morde, mehrere Tatorte und in manchen Fällen auch mehrere Mörder! Dem Spieler stehen also allerhand vertrackte Rätsel und blutige Geheimnisse bevor, die alle gelöst werden wollen. Und mit jedem gelösten Fall deckt sich auch ein Stück des „Ultimativen Geheimnis des Bezirks“ auf, mit dessen Auflösung Yuma direkt von der Spitze der World Detective Agency, Nummer Eins, beauftragt wird.
Das Innenleben des „Geheimen Labyrinths“
Es gibt also jede Menge zu tun für Yuma Kokohead – doch glücklicherweise hat er eine unschlagbare Waffe an seiner Seite. Die Rede ist hier natürlich von Shinigami! Sobald die Ermittlungsphase des jeweiligen Falls abgeschlossen ist und jeder Hinweis gefunden bzw. Zeuge befragt wurde, öffnet der Todesgott ein Portal zum „Geheimen Labyrinth“. In diesem müssen alle Hinweise richtig genutzt und Fragen zum Tathergang richtig beantwortet werden. Außerdem verwandelt sich der kleine Shinigami dort in eine Hörner tragende Dämonin, die relativ viel Haut zeigt.
Personen, die Danganronpa gespielt haben, werden hier auch sehr viele bekannte Minispiele wiederfinden: Prominent vertreten ist das „Todesspiel der Beweisführung“, wo sich ein „Mysteriöses Phantom“ (eine verzerrte Gestalt eines Friedenswächters oder Verdächtigen) materialisiert, das vehement Yumas Schlussfolgerungen bestreiten möchte. Doch sobald eine Aussage gemacht wird, die ganz klar mit einem von den zuvor gesammelten Beweisen (sprich: Lösungsschlüssel) widerlegt werden kann, schlägt Yuma mit seinem Schwert darauf und das Minispiel ist erfolgreich bestanden.
Ein anderes Spiel beruht auf dem Herausfinden eines Lösungswortes für eine wichtige Schlussfolgerung. An einem Fass, in dem Shinigami im Bikini steht, befinden sich verschiedene Buchstaben, die, in der richtigen Reihenfolge getroffen, das gesuchte Wort ergeben. Insgesamt ist dieses „Shinigami Puzzle“ aufgrund des oftmals vorherrschenden Unvermögens, das exakte Wort auf Anhieb zu erraten, eines der willkürlicheren und damit vertrackteren Spiele.
Ansonsten gibt es noch Rätsel, in denen man den genauen Punkt, an dem etwas Wichtiges während der Tat geschehen ist, bestimmen muss und andere Situationen, in denen man innerhalb kürzester Zeit die richtige Antwort per Knopfdruck wählen muss. Wer hier oder bei den anderen Rätsel falsch liegt, verliert überlebenswichtige Ausdauerpunkte – also Vorsicht!
Auf dem Papier klingt das „Geheime Labyrinth“ wie eine wahnwitzige Hetzjagd durch einen surrealen Irrgarten mit Zerrbildern aus Verdächtigen und Beweisen. Und das ist sie auch! Allerdings hätten wir uns für Rain Code in diesem Kern-Gameplay-Element dennoch mehr Action und Verwirrung anstatt Laufen durch schnurgerade Gänge gewünscht, die der Dramatik dann doch ein wenig das Momentum nehmen.
Am Ende des Labyrinths findet man klarerweise den wahren Täter. Der versteckt sich in einer Festung und tut alles Mögliche, damit man nicht zu ihm gelangt. Er errichtet Hindernisse, doch Shinigami wächst zur Riesin heran und prescht mit Yuma auf dem Kopf unerbittlich vor. Wälle werden eingerissen und Pfähle übersprungen und an kritischen Stellen hilft ein gesammelter Lösungsschlüssel weiter.
Ist der Fall restlos aufgeklärt, muss man in einem finalen Minispiel nochmals den gesamten Tathergang rekonstruieren. In einem Visual Novel gilt es, fehlenden Passagen mit Bildern auszufüllen und auf der letzten Seite den wahren Täter zu überführen. Auch dieses Gameplay ist 1:1 von Danganronpa übernommen – also kein Neuland für eingefleischte Fans!
Je nachdem, wie gut man sich im Labyrinth geschlagen hat, erhält man am Ende des Kapitels eine Wertung, die von SS bis D reicht. Wer genau wissen möchte, wie er sich in jeder einzelnen Herausforderung geschlagen hat, der kann sich auch dies unter „Details“ in der Endwertung ansehen. An eben diese Wertung ist auch die Menge der Detektiv-Punkten (DP) geknüpft, die Yuma erhält. Was kann man aber mit diesen Punkten machen?
Im Menü findet man einen Fähigkeitenbaum, der Hilfestellungen für die verschiedenen Minispiele im „Geheimen Labyrinth“ anbietet – und genau diese wollen mit den gewonnenen Detektiv-Punkten freigeschalten werden! Neben einem erhöhten Maximum an Ausdauer-Punkten, mit dem man im Labyrinth mehr Fehlschläge verkraften kann, gibt es auch die Möglichkeit falsche Hinweise oder Buchstaben in etwaigen Herausforderungen zu Beginn komplett zu eliminieren. Hat man also eine Schwäche bei einem bestimmten Spiel, lohnt es es sich eine Entschärfung zu kaufen. Zu beachten bleibt aber die maximale Kapazität von Fähigkeiten, die man aktiv ausrüsten kann.
Die Stadt und der immerwährende Regen
Was hat Rain Code abseits der Haupt-Story zu bieten? Die frei begehbaren Viertel des Kanai-Bezirks, die mit mit Schnellreise per Bus bequem anwählbar sind, entpuppen sich leider als leerer, als man es sich erhoffen würde. Es gibt obligatorischen Sammelgegenständen in Form von Shinigami-Figuren über die Bezirke verstreut. Findet man einen solchen, wird im Menü-Punkt „Detektiv-Getratsche“ eine Dialog-Szene mit einer der Detektiv-Kollegen verfügbar gemacht. Während dieser wird Yuma üblicherweise eine Auswahlfrage gestellt, bei deren richtiger Beantwortung Detektiv-Punkte winken.
Zudem finden sich in der Stadt kleine, durch gesichtslose NPCs vergebene Nebenaufgaben, die jedoch weit von einer echten Herausforderung entfernt sind. Sinn dahinter war wohl, die Straßen von Kanai nicht so leblos wirken zu lassen, allerdings geht es in dem Großteil dieser „Quests“ nur darum, andere NPCs ausfindig zu machen, von A nach B zu laufen oder simpelste Fragen zu beantworten.
An dieser Stelle möchten wir noch kurz ein Problem ansprechen, dass in der aktuell bestehden Fassung von Rain Code zu finden ist: In animierten Zwischensequenzen sind die Mund-Bewegungen noch nicht an die englische Synchronisation angepasst und wirken deshalb grob falsch. Doch Entwickler Spike Chunsoft ist sich dessen bewusst und hat bereits einen entsprechenden Patch in Arbeit. Es wird daher keinerlei Punkte-Abzug in unserer Wertung für dieses bald behobene Manko geben.
Fazit
Den Einfluss von Danganronpa spürt man in Master Detective Archives: Rain Code an allen Ecken und Enden – und das ist fürwahr nichts Schlechtes! Dennoch hätte man sich neben dem optisch verrückten „Mysteriösen Labyrinth“ in 3D etwas mehr Innovation wünschen dürfen. Für eine neue IP bedient man sich fast ein wenig zu viel an der geistigen Vorlage, aber dafür sind Story und Gameplay absolut stimmig. Danganronpa-Fans und Otakus werden ihre helle Freude haben!
Positiv:
+ spannende Story, die viele rätselhafte Charaktere und große Mysterien enthält
+ bewährte Gameplay-Elemente aus Danganronpa kehren zurück
+ übersichtliches Fähigkeiten-System
+ 3D-Umgebung lässt mehr Freiheiten zu als noch Danganronpa
Negativ:
– Nebenaufgaben außerhalb der Haupt-Story sind einfallslos
– das ständige Laufen durch das „Mysteriöse Labyrinth“ nimmt Tempo aus dem Spiel
– die freizügige Shinigami reicht leider nicht an den Charme eines Monokuma heran