Review: Lost Words: Beyond the Page – Bezaubernder Indie-Titel mit Blickwinkel auf kreatives Schreiben

Rhianna Pratchett ist – wie der Nachname schon verrät -, die Tochter von Terry Pratchett, dem Großmeister der satirischen Fantasy-Literatur, der 2015 leider viel zu früh von uns ging. Und während ihr Vater auf einen immensen Berg an geschriebenen Büchern zurückblicken kann, so ist auch Rhianna kein unbeschriebenes Blatt: Für Heavenly Sword und Overlord hat sie bereits Handlungsstränge konzipiert, später wurde sie Hauptautorin bei Mirror’s Edge und war zuletzt auch für die ersten beiden Teile des Tomb Raider-Reboots von Crystal Dynamics verantwortlich. Nun erscheint am 6. April mit Lost Words: Beyond the Page ihr neuestes Projekt; ein Indie-Titel, in dem Wörter Gefühle transportieren und buchstäblich die Welt verändern. Ob der Mix aus 2D-Plattformer und Literatur aufgeht, erfahrt ihr in den nachstehenden Zeilen.

Eine Geschichte über Trauer und Eskapismus

Lost Words: Beyond the Page erzählt die Geschichte der jungen Izzy, die wiederum ihre ganz eigene Geschichte erzählen möchte: Ihre Großmutter hat ihr ein Notizbuch geschenkt, welches sie im Laufe des Spiels gleichzeitig als Tagebuch sowie als Platz für ihren Fantasy-Roman nutzt. Unübersehbar ist, wie die realen Ereignisse in Izzys Leben ihre Geschichte beeinflussen und die Dynamik zwischen den Handlungssträngen offensichtlich wird. Aber wir greifen voraus – fangen wir bei Spielbeginn an: Die vierjährige Izzy liebt ihre Oma über alles, gemeinsam machen die beiden die kreativsten Dinge, von Roboter aus Bechern bauen über das Bewundern von Biolumineszenz in den Wellen ist alles dabei. Doch dann muss ihre Großmutter plötzlich wegen eines Schlaganfalls ins Krankenhaus und von da an erlebt das Mädchen das erste Mal in ihrem Leben Unsicherheit und tiefe Trauer, die sich auch in ihrem Schreiben widerspiegelt.

Während die Protagonisten in ihrem Tagebuch zuerst noch ein glückliches Leben führt und überraschend von Ava, der Dorfältesten (natürlich das Gegenstück zu der Großmutter) als Nachfolgerin in ihrer Position als „Wächterin der Glühwürmchen“ ernannt wird, ändern sich die Dinge schnell, als ihre Oma ins Krankenhaus gebracht werden muss und sie miterlebt, wie diese schwächer und schwächer wird. Dementsprechend wird man auch in der Fantasy-Welt mit Wut konfrontiert oder von Zweifel (in Form einer wolfsähnlichen Bestie) verfolgt.

Wer ein wenig Acht auf die beiden Handlungen gibt, wird die vielen Parallelen zwischen den beiden Stories und auch die verschiedenen Phasen der Trauer schnell erkennen: Sobald Izzy an einem Punkt ist, an dem sie nicht mehr weiter weiß, verliert auch ihre Heldin jegliche Orientierung und ihren Antrieb. Aber auch positive Dinge, beispielsweise ihre Affinität für Glühwürmchen finden in ihrer Geschichte als Sammelobjekte mit tieferem Zweck Ausdruck.

Worte als Plattformen, Worte als Zauberformeln, Worte als Trostspende

Das Spielprinzip von Lost Words: Beyond the Page ist denkbar simpel: Während Izzy in ihrem Tagebuch schreibt, springt ihr als farblose Figur von Wort zu Wort, bis umgeblättert wird. Sollte der Spieler einmal wirklich ein Wort verfehlen und in die Tiefe stürzen, ist die Figur sofort wieder am Rand der linken Seite einsatzbereit. Nebenher müssen mit dem Cursor einfache Tätigkeiten – zum Beispiel das Einsetzen von Wörtern an die richtige Stelle oder das Ausmalen einer Seite -, ausgeführt werden. Etwas mehr tut sich da schon im Reich der Fantasie, wo der Spieler auf ein Buch mit Zauberformeln zurückgreifen kann, um bevorstehende Probleme zu lösen. Diese reichen von einer eingestürzten Brücke bis zu hellhörigen Pflanzen, die sich sofort schließen, sollte man ihnen zu nahe kommen. Erstere Herausforderung ist einfach mit der Formel „reparieren“ gelöst, für zweitere muss man sich selbst mit dem Zauber „Stille“ umhüllen, um weiter voranzukommen.

In den knappen fünf bis sechs Stunden Spielzeit lernt man eine Handvoll Zauberformeln, von denen man aus dem Buch wählen kann; einige werden allerdings auch wieder vergessen und tauchen erst im Finale des Spiels wieder auf. Generell interessant sind dabei die vorhin erwähnte „Stille“, „ignorieren“ und „tauschen“, bei dem man den Platz mit einer anderen Figur wechselt. Andere Befehle wie „brennen“ oder „brechen“ liefern hingegen keinerlei Innovation und könnten auch aus einem x-beliebigen anderen Sidescroller stammen. Rein aus der Sicht von Gameplay betrachtet erfüllt Lost Words nur ein absolutes Minimum an Interaktion, dementsprechend einfach fallen die Puzzle im Spiel auch aus.

Wenn man als Spiele-Entwickler allerdings den Fokus auf Storytelling und Literatur legt, sollte eine Sache nicht passieren: Fehler bei der Wortstellung oder der Übersetzung! Leider macht sich Lost Words genau in diesen Punkten schuldig, denn so ist zum einen die Zauberformel „raise“ aus dem Englischen falsch mit „schweben“ anstatt mit „anheben“ übersetzt, andererseits schreibt Izzie nach der Auflösung eines Wortpuzzles „Vor der immer ist es dunkelsten am Dämmerung“ in ihr Tagebuch. In diesen Augenblicken bricht die Immersion, die gerade für ein stark story- und literaturlastiges Spiel so wichtig ist, und wir als Spieler fühlen uns vor den Kopf gestoßen.

Fazit

So schön eine Geschichte auch geschrieben ist, für ein Videospiel ist auch das Gameplay essentiell, und genau in diesem Punkt kann Lost Words: Beyond the Page nicht wirklich mehr bieten als durchschnittliche 2D-Plattformer-Action mit dem netten Gimmick einer kleinen Reihe an Befehlen, welche die Umgebung manipulieren. Alle jene, die einen Titel nur wegen seiner Story zocken, sei das Spiel hiermit wärmstens empfohlen, denn diese ist wirklich charmant in Szene gesetzt, doch werden sich alle außer dem ‚Casual Gamer‘ ziemlich unterfordert fühlen.

Positiv

+ Emotional berührende Handlung, die gut mit der Fantasy-Story abgestimmt ist

+ Glaubhafter und atmosphärischer Plot

Negativ

– Puzzle-Elemente viel zu einfach

– Übersetzungsfehler und gelegentliche Bugs stören Spielfluss

– keine innovativen Gameplay-Mechaniken

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Written by: Julian Bieder

Retro-Zocker, RPG-Allrounder und eifriger Trophäenjäger