Review: Lemmings aus Zinn? Ja das geht! Tin Hearts im Test

1991 erblickten die Lemmings das Licht der Welt. Das Spielkonzept von suizidial geradeaus laufenden Männchen hat aber auch heute noch viele Fans. Und genau die bekommen mit Tin Hearts von Entwickler Rogue Sun und Publisher Wired Productions einen spirituellen Ableger der Lemmings. Wir haben die PC Version getestet, die gleichzeitig mit den Versionen für Xbox Series X|S, PS4, PS5 und Xbox One am 16. Mai erscheint. Die Switch Variante dagegen ist bereits am 20. April in die Läden gekommen.

Klötze, die die Welt bedeuten

Im Spiel steuert man einen Geist aus der Ego Perspektive, der kleinen Aufziehsoldaten den Weg vorgibt. Das geschieht indem man zu Beginn dreieckige Bauklötze auf Stützen steckt, um die Soldaten im 90° Winkel abzulenken. Das Ziel ist es die Soldaten zu einer kleinen Tür im Level zu bringen.

Tin Hearts Start Level

Wer die Figürchen über den Rand von Tischen und Regalen befördert, hat allerdings nichts zu befürchten. Zu Beginn kann man Kuckucksuhren im Raum zurückdrehen und später bekommt man seine eigene Taschenuhr zum Manipulieren der Zeit. Fehler sind damit absolut kein Problem. Und wer nicht warten will, kann sogar die Zeit vorspulen. Eine weitere Hilfe stellt der Pausenmodus dar, in dem angezeigt wird, wie die Soldaten laufen werden. Zu Beginn ist das noch eine nette Dreingabe, aber in späteren Leveln ist dieses Feature sehr praktisch, da es einen weit vorausdenken lässt.

Die Schwierigkeitskurve steigt stetig, bleibt aber flach

Das Spiel ist in Level unterteilt und gerade zu Beginn gibt es in jedem Level ein neues Element zu entdecken, dass die Komplexität erhöht. Während man am Anfang noch fixe Stellen hat an denen man Bauklötze platziert, bekommt man später Klötzchen, die man überall hinlegen darf. Nach und nach kommen dann neue Elemente wie Kanonen, die Bücher umschießen, Trommeln mit denen die Soldaten über weite Distanzen springen können und Luftballons zum Fliegen hinzu. Dabei bleibt die Schwierigkeitskurve recht flach, steigt aber stetig an.

Die Umgebung für diese ganzen Elemente bildet das Haus des Spielzeugherstellers, dessen Geschicke man lenkt. Im Laufe des Spiels schaltet man dabei neue Räume frei, was einen sogar bis in den Garten des Anwesens führt. Das gibt dem Spiel einen ganz leichten Hauch von Escape Room Flair, da man teilweise auch schon einmal damit beschäftigt ist, die Klötze und Elemente zu suchen, die einem beim Lösen des Raumes helfen können. Dabei gibt es auch ab und an Elemente, denen man ausweichen muss. Z.B. einem Schachtelteufel, der eure Zinnsoldaten aufisst.

Und dann gibt es da noch eine Story

Wie oben bereits erwähnt spielt man einen Geist und erlebt die Geschichte des Spielzeugherstellers Albert Butterworth und seiner Familie. Erzählt wird dabei hauptsächlich durch Briefe und durch das Erscheinen der Charaktere in den Levels als eine Art Erinnerung. Das ist vom Grundsatz her eine nette Idee und bietet einen nachvollziehbaren Rahmen, warum überall Spielzeug herumliegt.

Tin Hearts Wohnzimmer

Wirklich packen konnte uns die Story aber nicht. Auch wenn der märchenhafte und positive Start von Tin Hearts irgendwann in dunkle Gefilde abdriftet und Alberts Emotionen Einfluss auf die Levelgestaltung sowie das das Verhalten der Zinnsoldaten haben, war unsere Hauptmotivation immer das Lösen der Rätsel und nicht wie die Geschichte weitergeht. Das sich entwickelnde Familiendrama ist aber keinesfalls schlecht gemacht. Hinter der restlichen Präsentation und dem Gameplay erreicht die Story aber nicht ganz dasselbe Level und steht damit etwas im Schatten des restlichen Spiels.

Auch in Sachen Steuerung gibt es ein paar verbesserungswürdige Aspekte. Die Kombination aus Tastatur und Maus ist nach ganz kurzer Eingewöhnung zwar kein Problem, aber lässt an gewissen Stellen Präzision vermissen. Gleichzeitig lässt sich das Spiel auch mit Controller steuern, da es für quasi alle Konsolen erscheint. In Zukunft wird es auch eine Virtual Reality Version geben und wir könnten uns vorstellen, dass sich hier die Steuerung intuitiver anfühlt.

Ein dunkles viktorianisches Märchen

Überzeugen kann Tin Hearts aber in anderen Abteilungen. Denn Grafik und Audiodesign unterstützen das Spiel sehr gut. Grafisch wird ein realitätsnaher Zeichentrickstil realisiert, der zwar nicht high end ist, aber genug Charme versprüht. Es gibt zwar ein paar Stellen in denen die Texturen überraschend schlechter Aussehen, aber das stört nicht wirklich. Die Musik weiß aber durchgehend zu überzeugen. Der Soundtrack wurde von Matthew Chastney komponiert, der sich bereits für Filme wie Joker und Venom – Let there be Carnage verdingt hat. Seine Arbeit untermalt das Spiel unaufgeregt und trägt zur Gesamtatmosphäre bei. Das gilt auch für die Sprecher der englischen Sprachausgabe, die den Charakteren glaubhaft Leben einhauchen.

Tin Hearts Study

Auch nette Details wie der Fakt, dass alle gefundenen Fähigkeiten und Zusätze im Arbeitszimmer wiederzufinden sind, wurden integriert. Das Arbeitszimmer ist dabei der Startpunkt nach jedem Start des Spiels, um den nächsten oder einen alten Level auszuwählen. Er hält auch Achievements und die Menge der geretten Soldaten fest. Medaillen, Werbeplakate und Preise der Erfindungen von Albert zieren daher bald die Wände des Zimmers. Eine nette Art den eigenen Fortschritt festzuhalten und im Fall der Achievements gleichzeitig zu zeigen, was noch fehlt.

Frustfrei und relaxend Rätseln

Schlussendlich gilt aber neben diesen Details, dass das Gameplay den größten Positivpunkt von Tin Hearts darstellt. Das Konzept von Lemmings in 3D mit den Zinn Soldaten funktioniert einfach wunderbar. Die Rätsel werden langsam schwerer und manchmal kommt das Suchen in den größer und unübersichtlicher werdenden Räumen noch dazu. Gleichzeitig wird die Herausforderung aber nie unfair. Um einen Vergleich zu haben: Das frustrierendste Erlebnis, das wir hatten, waren Bauklötze, die in einer offenen Box versteckt waren. Ein wahrer „man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht“ Moment. Schlimmer wurde es aber nie.

Das Spiel unterstützt einen teilweise auch mit Tipps, wenn man lange genug nicht vorankommt oder markiert Stellen, an denen einem ein Soldat kaputt ging. Kombiniert mit der Rückspulfunktion hat man im Prinzip ein frustfreies Erlebnis, da es keine Game Over Momente gibt. Gleichzeitig ist man trotzdem gefordert den richtigen Weg durch den Raum für seine Soldaten zu finden. Spätestens in Akt 2 von 4, wenn man einen seiner Spielzeugsoldaten direkt steuern kann, öffnen sich die potentiellen Möglichkeiten und man muss ein wenig tüfteln. Es gibt zwar wenige Stellen an denen mehrere komplett distinkte Lösungen anwendbar sind, was allerdings ebenfalls hilft Frustration zu vermeiden.

Fazit

Zwar fügt sich die Story von Tin Hearts um das Drama des Spielzeugherstellers Albert Butterworth harmonisch ein, vermochte es aber trotz emotionaler Handlung nicht uns zu fesseln. Abseits dessen können wir das charmante Rätselspiel aber sehr empfehlen. Die Lernkurve ist motivierend und das Spiel selbst nie frustrierend. Man ertappt sich immer wieder beim Gedanken „Ein Level geht noch“. Der Soundtrack und die Grafik tragen dabei viel zum Charme bei. Wer ein relaxendes und trotzdem forderndes Puzzlespiel sucht, wird hier auf der Plattform seiner Wahl fündig.

Positiv

  • Das Lemmings Gameplay wurde wunderbar in 3D eingefangen und erweitert
  • Fordernde Rätsel bei angenehmer Lernkurve
  • Absolut frustfrei dank Rückspulfunktion
  • Grafik und Soundtrack tragen viel zur charmanten Präsentation bei

Negativ

  • Die Story konnte uns nicht so wirklich fesseln, trotz guter Integration ins Spiel
  • An manchen Stellen schwankende Grafik-/Texturqualität
  • Die Steuerung ist manchmal etwas unpräzise
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Written by: Steve Brieller

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