Review: The Thaumaturge – Sperriges und zugleich auch großartiges Isometric-RPG

The Thaumaturge hinterließ bei mir wirklich einen bleibenden Eindruck, als es vor neun Monaten bereits für PC erschien und in einem vollgepackten Jahr der Releases hat das isometrische RPG, das im Warschau des Jahres 1905 spielt, seine Wirkung nicht verloren. Ich war schon lange gespannt, es auszuprobieren, und jetzt, nach einigen Patches und der Veröffentlichung auf Konsolen, gab es keinen besseren Zeitpunkt, es zu spielen. Dies ist das zweite Spiel des polnischen Entwicklers Fool’s Theory, die ihr RPG-Wissen aus ihrem ersten Spiel in dieses Projekt einfließen ließen. Die Verbindungen sind offensichtlich, denn das Spiel spielt in Fool’s Theorys Heimatland Polen, aber es war auch eine sehr konfliktreiche Zeit in der Geschichte, und dieser Hintergrund passt gut zu der Atmosphäre, die im Spiel geschaffen wurde. Doch mehr dazu in unserem Test.

Ein atmosphärischer und düsterer Trip nach Warschau

Während das Spiel für diejenigen, die mit der Geschichte nicht vertraut sind, ein kleines Geschichtsunterricht sein kann, bedeutet dies, dass das Studio eine Fiktion erschaffen konnten, die genauso nuanciert ist wie die realen Ereignisse, die sich abspielten. Es gibt viele Grauzonen, wenn man den Thaumaturgen spielt, einen Beruf, der seine eigenen Herausforderungen mit sich bringt, während man durch eine Stadt von unausgewogenen sozialen Strukturen voller Vorurteile watet. Aber genau das ist das Fundament dessen, was ein großartiges RPG ausmacht: Die Entscheidungen sind nicht schwarz oder weiß, sondern grau, wie der Smog, der durch das Warschau von The Thaumaturge wabert. Während meiner über 20 Stunden Spielzeit änderten sich meine Meinungen ständig darüber, was richtig war, und ich stellte meine Moral infrage, während sich die Ereignisse entfalteten, genau da wusste ich, dass das Spiel seine klauenartigen Finger nach mir ausgestreckt hatte.

Ihr spielt Wiktor Szulski, einen Thaumaturgen, der ein nomadisches Leben führt, während er von Land zu Land reist, um Hilfe für sein „Geschenk“ zu suchen. Thaumaturgie ist die mystische Kunst, Gedanken und Gefühle, die an unbelebte Objekte übermittelt werden, zu spüren – diese Fähigkeit entwickelt sich, je mehr man seine eigene Schwäche entdeckt. Doch es geht nicht nur um die Macht, die man erlangt, wenn die Thaumaturgie sich entfaltet, sondern auch um eine Art Dämon namens Salutors, der an dieser Schwäche haftet und einem für immer folgt, solange man das Merkmal besitzt, das ihn anzieht. Das Leben zu verändern oder die eigene Schwäche abzulegen, mag einfach klingen, aber sobald ein Salutor einen in seiner Hand hat, wird man beeinflusst, die Schwäche weiter zu füttern. Doch durch Wiktors Gabe der Thaumaturgie kann er die Salutors kontrollieren und die Menschen beeinflussen, mit denen er interagiert, wenn er sie zähmen kann. Nachdem er Hilfe von Rasputin für sein Problem gefunden hat, erhält Wiktor einen Brief, dass sein Vater verstorben sei. Dies ist der Auslöser für seine Rückkehr in seine Heimatstadt Warschau, eine Stadt, die aufgrund der russischen Besatzung unter deren Herrschaft steht. Die Spannungen sind hoch, da gleichzeitig von einer Revolution für ein unabhängiges Polen die Rede ist, und mit dem Tod von Wiktors Vater steckt mehr dahinter, als es auf den ersten Blick scheint. Das Spiel ist reich an Weltaufbau und beschäftigt sich mit den trockenen, tiefgründigen politischen Aspekten des historischen Rahmens.

Moralische Grauzonen in einer trostlosen Zeit

Die ersten Stunden des Spiels sind eine Herausforderung, um die Geschichte zu verdauen, aber insgesamt bin ich für diesen Ansatz dankbar. Er ermöglichte es mir, später im Spiel den Fokus auf die Charaktere und ihre Motivationen zu richten, die vor dem bereits gut etablierten Hintergrund agieren. Manche könnten den langsamen Einstieg als negativ empfinden, aber ich denke, das methodische Tempo ist einfach ein Teil der Erzählweise. Während das gesellschaftliche Klima, das Thema und die Hauptgeschichte eher düster wirken, sorgt der Schreibstil für eine fast schon makabre Humorhaftigkeit und echte Leichtigkeit, um ein Gegengewicht zu schaffen. Die Einheimischen sind zwar niedergeschlagen, aber nicht besiegt, hoffen auf Veränderung und wehren sich gegen die Mächte, indem sie sich nicht einfach unterwerfen. Auch Wiktor selbst ist in vielen Dialogoptionen, die ihr auswählt, durchaus verspielt. Wiktors größte Schwäche ist Stolz – viele Dialogoptionen weisen darauf hin, wenn eine Antwort stolz ist. Das Ausleben dieser Schwäche sorgt nicht nur für eine einfache Entscheidung darüber, wie ein Gespräch verlaufen soll, sondern öffnet auch alternative Handlungspfade, die andernfalls verschlossen geblieben wären. Dies ist der erste Moment, in dem das Spiel ein Gameplay-Element einführt, das leicht übersehen werden kann, was einen natürlich dazu anregt, in diese Richtung zu gehen.

Während ich dies tat, begann ich jedoch, die Moral eines Thaumaturgen zu hinterfragen. Ja, ich nutze die Kräfte, um das zu tun, was ich für richtig halte und ich bin ein bisschen arrogant, um vorteilhafte Situationen zu schaffen, aber entspricht das wirklich der Art und Weise, wie ich Wiktor spiele? Er stammt aus einer wohlhabenden Familie, sein Vater war ebenfalls Thaumaturge, aber oft stimme ich mit dem Konsens der polnischen Befreiung und den sozialistischen Idealen wie mehr Rechten für Frauen und einer gerechteren Behandlung von Arbeitern überein. Es gibt eine Komplexität, die euch nicht gleich zu Beginn des Spiels aufgezwungen wird, sondern sich erst im Laufe des Spiels entfaltet. Es ist ein beeindruckendes Merkmal von The Thaumaturge, dass es sich um ein 25–30 Stunden langes RPG handelt, in dem die Entwickler es geschafft haben, eine Welt zu erschaffen, die größer ist als die, in der man spielt. Ein weiteres Mittel, um eure Thaumaturgie-Fähigkeiten zu nutzen und die Gespräche zu beeinflussen, ist das Scannen eurer Umgebung. Es gibt eine clevere Mechanik, bei der ihr „R2“ drückt und Wiktor mit den Fingern gegen das Grimoire an seiner Taille schnippt. Rote Partikel fliegen aus dem Buch und scannen alles, was ihr mit euren Gefühlen in Verbindung bringen könnt. Alternativ dient es auch als Wegweiser zu eurem aktuellen Ziel. Doch das verkommt leider etwas zur Detektiv-Ansicht der Batman-Spiele und ihr müsst dies fast ohne Unterlass immer wieder aktivieren, um erstens den Weg zum nächsten Ziel zu finden und auch um versteckte Collectibles zu entdecken.

Schwerfällig und einzigartig – die Kämpfe

Das Kampfsystem in Thaumaturge ist rundenbasiert, aber sowohl eure als auch die Angriffe der Feinde richten sich nach einer Zeitleiste, die oben auf dem Bildschirm angezeigt wird. Einige Aktionen benötigen eine Runde, während andere mehrere Runden beanspruchen. Die Aktionen der Feinde folgen denselben Regeln, was ein Balanceakt zwischen langsamen, mächtigen Zügen und schnelleren, weniger starken Angriffen erfordert. Der Fokusbalken spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, da das Entleeren des Balkens die Aktion des Feindes abbricht und ihn für einen verheerenden Angriff öffnet. Die Kämpfe sind kurz und einfach zu verstehen, aber der Schwierigkeitsgrad steigt langsam an, je weiter man im Spiel voranschreitet. Es macht Spaß, die Dynamik zu lernen, um zu entscheiden, wen man zuerst besiegen sollte, und zwischen Heilen, Angreifen oder dem Verursachen von Fokus-Schaden zu jonglieren. Es gibt einige Schwierigkeitssteigerungen, die eher unfaire wirken, aber man kann immer die Schwierigkeit anpassen. Dabei kommen natürloch auch eure bis zu 8 verschiedenen Salutors zum Einsatz, die im Kampf jederzeit gewechselt werden sollten und euren Gegner teils fiese Wunden zufügen können.

Während das Spiel voll von Texten und Dialogen ist, verändert sich die Welt nicht dramatisch nach euren Entscheidungen. Stattdessen beeinflussen eure Beziehungen und die Ergebnisse das Ende nur leicht, ohne es wirklich zu verändern. Ein Beispiel ist eine Nebenquest, bei der ihr einen Serienmörder aufspüren müsst. Nach der langwierigen Ermittlung endet die Quest mit einem Showdown zwischen dem Mörder und euch. In einem Fall versuchte ich, ihn davon abzuhalten, sein letztes Opfer zu töten, und dabei wurde der Mörder erschossen. Der Polizist, dem ihr helft, beschwerte sich über die Bürokratie, weil der Verdächtige nicht mehr lebendig war, um für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden. Ich war mit dem Ergebnis nicht zufrieden, also lud ich meinen Spielstand neu und konnte ihn lebendig fangen. Der Polizist beschwerte sich immer noch über die Bürokratie und als ich ihm später erneut begegnete, sagte er, dass der Verdächtige gehängt werden würde. Es gibt einige dieser Momente, in denen die Wahlmöglichkeiten eher pseudo-entscheidend sind, da sich das Ergebnis nicht wirklich verändert, nur der Weg, wie man dorthin gelangt. Dazu kommt, dass Warschau zwar Open-World ist, aber in Distrikte unterteilt, zwischen denen man schnell reisen muss. Es gibt viele Ladebildschirme, die zwar nicht lange dauern, aber besonders bei Sightseeing-Quests und der damit verbundenen XP-Sammlung wird das Spiel immer wieder gestoppt.

Die Umgebungen sind übrigens exzellent und bieten beeindruckende Details. Es mag seltsam klingen, aber verfallene Gebäude und unebene, mit Matsch bedeckte Pflasterstraßen wirken wie eine echte Darstellung von Warschau im Jahr 1905. Das steht im Gegensatz zu der wohlhabenden Elite, mit der Wiktor oft zu tun hat, Menschen, die in prächtigen Villen und luxuriösen Hotels wohnen, während ein armer Arbeiter nach einer langen Nacht vor einem Gebäude übergibt. Es ist eine visuelle Dichotomie, die die gleichen Prinzipien wie die Erzählweise des Spiels verkörpert und zeigt, wie trostlos alles sein kann. Im Gegensatz zu den tristen Grautönen und Brauntönen der Straßen stechen auch die leuchtend roten Partikel aus Wiktors Grimoire hervor, die in der Umgebung auffallen und dem Spiel einen einzigartigen Stil verleihen. Abgesehen von einigen kleinen Mängeln, die oft als „charismatisch“ in AAA-RPGs gefeiert werden, hatte ich eine großartige Zeit mit The Thaumaturge. Es ist historisch und fantastisch, düster, aber oft auch humorvoll, und obwohl es ein kompaktes RPG ist, hat es eine enorme Tiefe. Die Entwickler haben großartige Arbeit geleistet, so viel in ein 25-30 Stunden langes RPG zu packen. Ich hätte mir noch ein paar mehr Systeme für mehr Rollenspiel gewünscht, die Welt könnte offener sein und die etwas inflationär eingebrachten Nebenmissionen und Collectibles können nerven, aber insgesamt bin ich von The Thaumaturge sehr beeindruckt. Wenn ihr eurozentrierte Geschichtslektionen mit einem Hauch von Folklore und subtiler dunkler Fantasie mögt, dann ist dieses Spiel genau das Richtige für euch.

Fazit

The Thaumaturge ist eine kleine exzentrische Rollenspiel-Perle, die es schafft die historische Trostlosigkeit Polens super mit dem fantastischen Setting zu mixen. Die Story überwiegt im Fokus definitiv den Kämpfen und es gibt genug in Warschau zu tun, wenn auch vielleicht sogar etwas zu viel. Doch wer mit der etwas langsameren Art zurecht kommt, wird hier seinen Spaß haben.

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Written by: Nick Erlenhof

Hitoshura, Sith & FOXHOUND-Spectre

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