Es ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, dass ATLUS erweiterte Nachfolgeversionen ihrer Titel herausbringt. Das erste war bereits schon Shin Megami Tensei: Persona 3: FES im Jahr 2008 und nun fast 20 Jahre später und mit einem fast ebenso vielsagenden Titel wurden wir mit Shin Megami Tensei V: Vengeance gesegnet. Dieses Version-1.5-Spiel wurde von vielen Fans des ursprünglichen Shin Megami Tensei V heiß erwartet, da das Spiel Elemente enthielt, die nicht ganz ausgereift waren oder fehlten. Doch ist es nun vollkommen und in einem perfekten Zustand? Unser Test wird es zeigen.
Schöpfung oder Rache?
In Shin Megami Tensei V: Vengeance wird man gleich zu Beginn eines neuen Spiels vor die Wahl gestellt, dem Kanon der Schöpfung oder dem Kanon der Rache zu folgen. Dies ist eine Auswahl zwischen der Shin Megami Tensei V-Story-Route und der exklusiven Vengeance-Route. Nachdem wir den Kanon der Rache ausgewählt haben, treffen wir auf die gefangene Seele eines mysteriösen Mädchens, die für die katastrophalen Ereignisse von entscheidender Bedeutung sein soll. Ich habe das ursprüngliche Shin Megami Tensei V auf der Switch gespielt, daher fielen mir die neuen und aktualisierten Funktionen von Canon of Vengeance sofort auf. Storytechnisch beginnt das Spiel wie gehabt, mit einer Gruppe von Schülern der Jounin High School, die in eine Katastrophe verwickelt werden, die sie in eine andere Welt transportiert: die Unterwelt von Da’at an einem Ort namens Minato, um genau zu sein. Nachdem sich die Gruppe erholt hat und von Dämonen bedroht wird, treffen wir auf den Protofiend Aogami, der dem Hauptcharakter seine Kräfte verleiht, indem er mit ihm verschmilzt und ein Wesen wird, das als Nahobino bekannt ist. Ein paar Tutorials und kleine Schritte später führt das Spiel in rascher Folge eine Fülle neuer Funktionen ein. Zu den neuen Gameplay-Funktionen gehören eine praktische Vogelperspektive und Magatsuhi-Rails zur Navigation (kleine Energiepfade, die als schnelle Transportmethode zwischen zwei Punkten dienen). Diese sind sehr nützlich, um an Orte zurückzukehren, die nur mühsam zu erreichen sind, wie z. B. die Spitze einer Klippe, zu der man sonst eine mühsame Strecke laufen müsste. Zu den weiteren Neuerungen gehören die Möglichkeit, überall zu speichern, die Skalierung der Feinde, Gast-Charaktere für die Kämpfe und die erweiterten Optionen für automatische Kämpfe.
Der größte Streitpunkt für ursprüngliche Shin Megami Tensei V-Fans dürfte die Geschichte sein, oder zumindest die Art und Weise, wie sich das Tempo im Zusammenhang mit dem erstklassigen Gameplay anfühlt. Der „Canon of Vengeance“-Pfad ist mehr als eine Persona 5: Royal-ähnliche Überarbeitung des Grundspiels: Es ist fast eine komplett andere Geschichte. Wir haben einen neuen Charakter, Yoko Hiromine, eine Kommilitonin in Japan. Im Gegensatz zu den etablierten Charakteren kommt sie von der Saint Marina’s Academy und ist irgendwie in der Lage, Magie einzusetzen. Während die Geschichte von Vengeance anfangs nach demselben Muster ablief wie die von Creation, bot Yoko einige interessante Standpunkte zu meinen Entscheidungen und gab im Vergleich zu Charakteren wie Tao einen weniger schwarz-weißen Kommentar ab. Sie wurde mit neuen gesprochenen Dialogzeilen vollständig in die Besetzung integriert. Sie hat dazu beigetragen, einige der Lücken in der ursprünglichen Geschichte zu schließen, und alles fühlte sich kohärenter an. Und natürlich gibt es mit neuen Helden auch neue Schurken: die Dämonenfraktion der Qadištu. Dieses Quartett von Femme fatales stellt ein überzeugendes Hindernis für Nahobino dar, während sie versuchen, den Drachen Tiamat wiederzuerwecken. Sie sorgten für einige meiner Lieblingsmomente im Spiel, mit schockierenden und unvorhersehbaren Aktionen, die mich motivierten, einige der weniger interessanten Abschnitte durchzustehen, wie zum Beispiel das Erreichen von Da’at Shinjuku. Doch warum?
Aus den Fehlern der Original-Version gelernt
Die Umgebung von Shinjuku ist absolut atemberaubend und erinnerte mich an eine Mischung aus Lakeland aus Final Fantasy XIV: Shadowbringers und dem treffend benannten Ruined City Centre aus Code Vein. Allerdings waren nicht nur die Story-Abschnitte spärlich, sondern auch andere interessante Inhalte. Groß, leer, hübsch, aber eben ohne wirkliche Zwischensequenzen oder wichtiger Inhalte, dafür aber mit einer Menge cooler Nebenmissionen und neuer Dämonen. Die restlichen Gebiete fühlten sich dagegen einfach etwas runder an, besonders da der erste große Widersacher Lahmu diesmal sehr schnell abserviert wurde, was dem Pacing unglaublich gut getan hat. Trotz dieser Kritikpunkte an Shinjuku hat das Spiel unbestreitbar Spaß gemacht. Einige werden das auf Erkundung ausgerichtete Gameplay zu schätzen wissen, das gerade genug Story bietet, um Nahobino und seinen Zoo von Dämonen von einem Gebiet zum nächsten zu treiben. Es ist auch nicht so, dass die Geschichte schlecht wäre. Sie war sogar viel dramatischer und aufregender, als ich es mir vorgestellt hatte. Es war schön zu sehen, wie sich die Charaktere mehr einbrachten und wie sich die verschiedenen „Versionen“ ihrer selbst von einem Kanon zum anderen unter verschiedenen Drucksituationen verhielten. Wenn ihr das Gameplay der Shin Megami Tensei-Spiele mögt, werdet ihr euch gerne durch Da’at kämpfen. Es ist nur so, dass die Geschichte nicht immer die treibende Kraft sein wird.
Und da wir gerade bei Kräften sind, so gibt es natürlich auch viele neu hinzugefügte Dämonen. Einige neue Dämonen sind schon früh im Spiel verfügbar und helfen dabei, eure Teams mit zuvor nicht verfügbaren Fähigkeiten abzurunden. Pellaidh ist zum Beispiel einer der ersten neuen Dämonen, auf die ihr trefft, und verfügt über eine Fähigkeit, die allen Gegnern ein Siegel auferlegt und gleichzeitig ihre Angriffskraft senkt. Debuffs sind in Shin Megami Tensei-Spielen sehr mächtig, daher sind sie eine großartige Ergänzung. Durch die Hinzufügung von 40 neuen Biestern in Vengeance gibt es jetzt über 270 Dämonen, von denen viele der mächtigsten nur durch Fusion verfügbar sind. Dämonen, die aus einer Fusion hervorgehen, können ihre früheren Fähigkeiten erben, so dass man viel Zeit damit verbringt, neue, mächtigere Monster zu erschaffen, um den nächsten Boss zu besiegen, der den Fortschritt blockiert. Sowohl die neuen als auch die alten Dämonen haben nun eine individuelle passive Eigenschaft, die für eure Strategien hilfreich oder hinderlich sein können. Ich habe das erst bemerkt, als ich mein Team für den Endkampf zusammengestellt habe, aber einer meiner Dämonen hatte eine passive Eigenschaft, die dazu führt, dass alle Fähigkeiten, einschließlich Zauber, kritisch treffen. Zauber können normalerweise keine kritischen Treffer erzielen, und jeder kritische Treffer fügt ein „Push Turn“-Symbol hinzu (d. h. eine zusätzliche Runde), das ist also unglaublich wertvoll.
Ein Spiel, in dem man sich leicht verlieren kann
Wenn ihr eure Dämonengefährten wirklich aufmotzen wollt, ist der neue „Demon Haunt“, der über Leylines zugänglich ist, genau das Richtige für euch. Dies ist ein spezieller Bereich, in dem ihr mit euren Dämonenfreunden ein nettes Schwätzchen halten könnt, normalerweise über ganz normale Themen wie z. B. wie viel Spaß es macht, zu spüren, wie das Gift in das Blut eurer Feinde kriecht, oder warum es scheiße ist, dass es nicht mehr so viele Menschen zum Ausnehmen gibt. Wenn ihr euch mit eurer kleinen Armee von Soziopathen anfreundet – durch Kampf, Konversation und sogar durch Geschenke – können euch einzelne Dämonen zu sich rufen, um euch entweder Geschenke (wie Gegenstände und Essenzen) zu geben oder um Statussprünge und zusätzliche Fähigkeiten zu erhalten. Es gibt noch viel mehr, das erwähnenswert ist: Es stehen mehr Wunder zur Verfügung, um den Nahobino zu verbessern (und viele von ihnen können nach dem Erwerb nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden), eine ganze Reihe neuer Dämonen wurde der Liste hinzugefügt, es gibt eine Reihe neuer Nebenquests – einschließlich interessanter kleiner Mini-Abenteuer, bei denen man die Kontrolle über einen Dämon übernimmt, und zeitlich begrenzter Prüfungen – und Dämonen haben eben jetzt die bereits erwähnten einzigartig angeborenen Fähigkeiten, die sich auf alles auswirken, von der Wirksamkeit der Fähigkeiten bis hin zum reibungslosen Ablauf von Kampfhandlungen. Außerdem gibt es noch eine Art Gruppenangriff, bei der bestimmte Dämonen zusammenarbeiten, um einen verheerenden Angriff auszuführen. Als Beispiel gibt es da die vier Engel Gabriel, Raphael, Michael und Uriel, die zusammen einen Licht-Angriff auf die Gegner niederregnen lassen.
Shin Megami Tensei V: Vengeance fühlte sich übrigens deutlich einfacher an als das Original. Sowohl beim Original als auch bei Vengeance habe ich das Spiel auf dem Standard-Schwierigkeitsgrad durchgespielt, und Vengeance fühlte sich insgesamt weniger anstrengend an. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit diese wahrgenommene Verringerung des Schwierigkeitsgrads auf meine eigenen Erfahrungen mit dem Original und generell der Reihe zurückzuführen ist – wenn man die Schwächen der Gegner kennt und weiß, wo man ihnen begegnet, hat man einen deutlichen Vorsprung -, aber mit den neuen angeborenen Fertigkeiten, den neuen Miracle-Buffs, den neuen und äußerst hilfreichen Magatsuhi-Fertigkeiten, den zusätzlichen Gegenständen und Boosts in der Demon Haunt und der Funktion, überall speichern zu können, ist Vengeance generell angenehmer. Ob das gut oder schlecht ist, hängt von eurem Geschmack ab und vergesst nicht, dass es immer möglich ist, in einer zufälligen Begegnung, die schnell schief geht, völlig zerstört zu werden, also müsst ihr immer noch mit Bedacht spielen. Diejenigen unter euch, die ein Blutbad wollen, werden mit dem absurden „Godborn“-Schwierigkeitsgrad im New Game Plus ihr Bedürfnis nach Kampf befriedigen.
Fazit
Shin Megami Tensei V: Vengeance merzt sehr viele Fehler des Originals aus und packt dabei sogar noch einen komplett neuen Storypfad drauf. Die Story & Charaktere sind dabei nochmals besser ausgearbeitet, aber besonders die vielen kleinen Verbesserungen fallen ungemein positiv auf. Seien es die neuen Gast-Charaktere in den Kämpfen, das neue Gebiet, der Soundtrack oder die vielen neuen Dämonen inklusive neuer Fähigkeiten und passiven Effekte. Wer das Original mochte, wird hier positiv überrascht werden und wer es noch nicht gespielt hat, aber damit liebäugelt, unbedingt reinschauen.
Positiv:
+ neuer Storypfad bietet tiefgehendere Geschichte und arbeitet alle Charaktere besser aus
+ enorm viele Verbesserungen der Erkundung und der Kämpfe
+ wiederkehrende und neue Musikstücke sind brilliant
+ neue Inhalte überzeugen
+ butterweiche Perfomance
Negativ:
– Anfang zunächst weitesgehend gleich geblieben
– Neues Shinjuku-Gebiet bleibt geschichtlich irrelevant