Review: Shadows of Doubt – Ein frische Wind, den das Detektivspiel-Genre schon lange nötig hatte

Man kann mich ohne weiteres einen Freund von Detektiv-Spielen nennen: Von den Sherlock-Holmes-Titeln von Frogwares sowie L.A. Noire über die Danganronpa-Reihe bis zu den weithin bekannten Ace Attorney-Spielen hatte es mich neben der großen Bandbreite an Spiele-Genres, an denen ich mich probiere, auch oft in die Schuhe eines Ermittlers versetzt. Grundsätzlich haben die Paradebeispiel des Detektiv-Genres immer drei geradlinige Segmente einteilen: Hinweise suchen und kombinieren, mit Zeugen und Verdächtigen reden und den Täter überführen. Der Ausgang ist vorherbestimmt und der Wiederspielwert geht Richtung Null. Doch seit April 2023 existiert ein Spiel auf PC im Early Access, das mit diesen Vorgaben bricht: Shadows of Doubt von Entwickler ColePowered Games mischt das Genre mithilfe von prozedural generierten Städten und Mordfällen richtig auf und sorgt damit für eine echte Innovation – zumindest auf dem Papier! Wie sich der Titel in der Praxis auf Konsole schlägt, könnt ihr nachstehend bei uns lesen:

Eine alternative Zeitlinie mit faszinierenden Elemente aus Film Noir und Science Fiction

Egal, welche Stadt ihr euch generieren lasst, sie ist immer düster, beklommen und voller Mörder!

Zu Beginn des Spiels lassen sich verschiedene Optionen einstellen: Neben Standards, wie dem Namen und dem Schwierigkeitsgrad, muss man als letzten Punkt auch die Stadt generieren lassen, in der man spielen wird. Zweifelsohne wird jedem sofort die Minecraft-ähnliche Grafik auffallen – diese ist Geschmackssache, sorgt aber dafür, dass sich die zufällig generierte Welt auch einigermaßen schlüssig zusammensetzen kann. Auch die düstere Atmosphäre büßt dadurch nichts ein – sie wirkt auch mit der Voxel-Grafik dunkel, geradezu feindselig… Grund für das finstere Milieu ist eine alternative Zeitlinie, in der man 1965 einen Megakonzern, Starch Kola, zum Präsidenten der United Atlantic States gewählt. Dieses ersetzte die reguläre Polizei durch sogenannte Enforcer, die weniger das Gesetz als die Interessen des Unternehmens verfolgen. Aufgrund der Hyperindustrialisierung und des steigenden Meeresspiegels durch die globale Erwärmung leben und arbeiten die meisten Menschen zudem in beengten, smogverhangenen Städten, die durch das giftige Wasser isoliert sind. Das Gesamtbild, das sich ergibt, sieht also alles andere als rosig aus…

Die obere Reihe im Inventar zeigt essentielle Schlüßelgegenstände: Mit Münzen kann man Leute ablenken und der Abdruckscanner analysiert Fingerabdrücke. In die zweite Reihe kommen Gegenstände, die man unterwegs aufsammeln kann.

Neben den Schlüßelgegenständen im Inventar (wie oben beschrieben), muss sich der Spieler vor allem auf seine Fähigkeiten, unbemerkt zu bleiben, verlassen: Da man zu keiner offiziellen Ordnungseinheit zählt – man ist nur Privatperson -, wird auch an Tatorten ein Alarm ausgelöst, sofern man vorher nicht die Überwachungsanlagen abgeschalten hat. So ein Alarm bei illegalem Betreten ruft eine saftige Geldstrafe und bewaffnete Enforcer auf den Plan! Dennoch ermutigt die Regierung jeden Bürger selbst zu ermitteln, um die Zahl gelöster Verbrechen zu erhöhen – hierfür geht man einfach ins Rathaus und besorgt sich ein entsprechendes Formular, das zur Beendigung des Falls ausgefüllt werden muss. Als Belohnung winken ein Bündel Crows, die Währungseinheit in Shadows of Doubt, und Punkte in Form von Social Credits. Je höher dieser Rang ist, desto mehr Boni erwarten einen: Beispielsweise wird einem erlaubt, ein eigenes Apartment zu kaufen, ein Schnellreisesystem zu nutzen, die vornehmeren Bereiche der Stadt zu betreten oder auch negative Statuseffekte einfacher zu heilen. Wenn das obere Ende des Sozialkreditssystems erreicht ist (dieses kann unter der Optionen festgelegt werden), kann der Spiele-Avatar in den Ruhestand gehen und das Spiel ist beendet.

Ist die Spiellänge auf „Normal“ eingestellt, endet das Spiel auf dem 8. Rang des Social Credit Status

Links oben am Bildschirm sind die meiste Spielzeit kleine Symbole zu sehen; diese zeigen verschiedenste Statuseffekte an, die gerade aktiv sind. Auf die wenigen positiven Effekte wie „Versteckt“, „Ausgeruht“ oder „Hydriert“ kommen wesentlich mehr negative Effekte: Wer im Abwasser watet, wird sich den Effekt „Stinkend“ zuziehen – durch diesen wird man leichter entdeckt. Wer „Nass“ ist, wird ständig ausrutschen, durch „Verletzt“ erleidet man mehr Schaden, durch „Gebrochenes Bein“ kann man nur langsam gehen und wer als „Sicherheitsbedrohung“ eingestuft wird, bekommt es mit Geschütztürmen und Enforcern zu tun. In diesem Fall empfiehlt es sich, das Gebäude, in dem man sich befindet, schnellstmöglich zu verlassen, um Verfolger abzuschütteln.

Wer aus dem Krankenhaus flieht, um die Zeche zu prellen, bekommt keine negativen Statusprobleme geheilt. Hier leiden wir unter ganzen vier und werden zudem noch polizeilich verfolgt.

In Form von Upgrades hat sich auch ein kleines RPG-Element in Shadows of Doubt geschlichen: Da die Handlung ja in einer Science-Fiction-Noir-Welt spielt, existieren Cyberimplantate, die man sich beim Doktor ums Eck mal schnell einsetzen lässt. Hier kann man in der Regel zwischen zwei Boni wählen: Das Implantat namens „Körperbau“ lässt den Spieler zum Beispiel zwischen mehr HP oder mehr Platz im Inventar eintscheiden. Oder „Kartograf“: dieses spendiert Punkte für die Erkundung neuer Orte oder das Doppelte an Punkten für die Erkundung von (schwerer auffindbaren) Luftschächten.

Cyber-Implantate sind zwar rar gesät, dafür können sie eine echte Hilfe sein, die permanent unterstüzt

Nirgends kann man sich als Ermittler so austoben wie bei Shadows of Doubt

Fingerabdrücke zu nehmen ist ziemlich wichtig, da man danach nach weiteren am Tatort suchen kann, die eben nicht jenen des Opfers entsprechen

Doch genug der Theorie, gehen wir auf Mörderjagd! In unserem ersten Fall geht es um eine getötete, junge Frau namens Laurel Hardeman. Nachdem wir ihren Leichnam durchsucht sowie ihre Fingerabdrücke genommen haben, nehmen wir uns die Wohnung selbst vor: mit dem Abdruckscanner analysieren wir sämtliche gefundenen Fingerabdrücke; Brieftasche und Anrufliste werden durchstöbert, ihr persönlicher Safe geknackt und auch der Müll durchwühlt. Sind all diese Dinge abgehackt, haben wir eine Fülle an Informationen, die in unterschiedliche Richtungen führen. Shadows of Doubt lässt einem hier komplett freie Hand, welcher Fährte man folgen möchte – die ein oder andere kann aber auch in einer Sackgasse enden! Doch bevor unser Charakter (den wir selbstverständlich C. Killer genannt haben) zur Tat schreiten kann, muss sie erst einmal durch den Luftschacht flüchten, da der stille Alarm ausgelöst wurde – wir hatten nämlich vergessen, die Sicherheitskameras zu deaktivieren.

Hinweise können im Menü mit Fäden in klassischer Manier verbunden werden – man kann es aber auch übertreiben!

Ist die Luft wieder rein, begutachten wir im Menü unsere gesammelten Hinweise; dort ist es auch möglich, die einzelnen Indizien frei zu arrangieren und mit Fäden zu verbinden, um ein bestehende Verbindung zu veranschaulichen. Ein Traum für jeden Verschwörungtheoretiker! Einer unserer Hinweise besagt, dass sie sich am Vortag in einem Lokal namens „Raven Restaurant Diner“ aufgehalten haben soll. Sobald man auf die gefundene Adresse klickt, kann man sich wahlweise einen Navigationspfeil zum angegeben Ort anzeigen lassen oder sogar den Avatar automatisch dorthin schicken. Der Gästebereich des Diners ist natürlich frei zugänglich, doch um an die Daten der Überwachungskamera zu kommen, schleichen wir über einen mit Dietrichen geknackte Tür in den Büroraum. Dort findet sich in einer der Schubladen des Schreibtisches der Sperrcode für den Cruncher mit den Aufzeichnungen. C. Killer muss jetzt nur noch bis zum Zeitpunkt der Anwesenheit von Laurel zurückspulen, um zu erfahren, mit wem sie sich getroffen hat.

Cruncher, die Computer in Shadows of Doubts, liefern eine Vielzahl an Informationen – beispielsweise die Aufzeichnungen einer Überwachungskamera

Laurel saß länger mit einer Person namens Knox Hinton am Tresen – ob er der Täter ist? In einem der hilfreichen Adressbücher, die sich unmittelbar neben jeden Telefon in der Stadt befinden, suchen wir nach seiner Wohnadresse. Bereitwillig öffnet er uns seine Türe und meint, dass Laurel Hardeman Opfer eines Auftragsmordes war. Er wisse auch, wer der Profikiller sei: ein Mann namens Gleb Oliynyk! Die Sache kommt uns ein wenig seltsam vor, also beschließen wir, eine härtere Gangart einzulegen, die über das eher limitierte Dialogsystem nicht zu erreichen ist.

Als wir die Wohnung von Knox Hilton ohne seine Erlaubnis betreten, wirkt er ein wenig aufgebracht. Wir „beruhigen“ ihn daraufhin mit unserem Hammer.

Ungefragt treten wir in die Wohnung von Hinton ein und werden prompt von ihm mit Fäusten attackiert, da wir unerlaubtes Terrain betreten. Für diese Situationen besitzt das Spiel auch ein implementiertes Kampfsystem, bei dem Schlag- und Schusswaffen zum Einsatz kommen können. Glücklicherweise haben wir einen Hammer im Inventar und gewinnen damit die Oberhand in der Auseinandersetzung. Wir hätten auch einen Nahkampf mit Konter-Möglichkeit eingehen können – allerdings war uns der einfache Weg lieber! Nachdem wir seine Behausung mit all unseren Gerätschaften durchsuchen (und diesmal die Kameras vorher deaktivierten), stellt sich heraus, dass Hinton nur ein Unschuldiger ist und wahrscheinlich die Wahrheit sagt. Der an der Türschwelle gespeicherte Spielstand wird als flugs von uns geladen (hier fallen die ziemlich langen Ladezeiten auf), da wir keinen Unschuldigen sinnlos K.O. geschlagen haben wollen…

Gleb Olyinyk: in der Arbeit Profikiller; in seiner Freizeit Exhibitionist mit Schnauzbart

An der nächsten Adresse öffnet uns der vermeintliche Mörder die Türe – und zwar splitterfasernackt! Gleb zeigt sich in seinem Adamskostüm, mit seinen Antworten ist er aber alles andere als freizügig… Erst als wir mehrmals die Dialogoptionen mit „Es wird sich für Sie lohnen, wenn ich mich hier umsehen darf …“ betätigen und sich das Bestechungsgeld jedes Mal verdoppelt, willigt er ein, das unser C. Killer eintreten darf. Und jetzt wird das Ganze noch absurder: Mit seiner Einwilligung finden wir drinnen jede Menge handfeste Beweise, die ihn an als Täter überführen: wir knacken seinen Safe, wir nehmen seine Fingerabdrücke, wir rufen auf seinem Cruncher Mails auf, in der für Auftragsmorde engagiert wird – und drucken jedes Einzelne fein säuberlich aus. All das geschieht, während Gleb sich seelenruhig (und noch immer nackt) vor die Glotze setzt, die Zähne putzt und dann schlafen legt! Als wir genug gesehen haben, wecken wir ihn auf, um ihm Handschellen anzulegen. Die ganze Situation ist bizarr und unfreiwillig komisch, aber da das Gameplay von Shadows of Doubt auf diese Weise funktioniert, eine durchaus legitime Methode, einen Mörder dingfest zu machen!

Entweder man befüllt die Felder manuell, oder aber man wählt direkt unter den Hinweisen im Menü aus

Nun folgt nur noch der verpflichtende Abschluss eines jeden Falls: es gilt, das zu Beginn eingeholte, Formular mit den Eckdaten des Mordes zu befühlen. Gefordert ist auf jeden Fall Name und Adresse des Mörders sowie ein überführendes Beweisstück. Optional kann man dem Täter für Extrapunkte auch schon Handschellen anlegen oder die Mordwaffe finden. In unserem Fall konnten wir alle bis auf eine Bedingung erfüllen – für die Mordwaffe hätten wir wohl einer anderen Fährte folgen müssen. Wir sind trotzdem zufrieden und Shadows of Doubt generiert uns ja auch schon den nächsten Mordfall!

Hinter jeden Ecke ein Verbrechen – und zwei Glitches

Die Karte wäre ein hilfreiches Mittel zur Navigation, wenn sie nur richtig laden würde

Nach den innovativen Gameplay müssen nun die Schattenseiten von Shadows of Doubts erwähnt werden: NPCs glitchen durch Tische und Stühle, der Aufbau einiger Tatorte und Gebäude verschiebt oder verändert sich beim Laden, zum Teil gibt es schwere Framerate-Einbrüche, die aufrufbare Stadtkarte lädt gar nicht oder nur sehr langsam und schlussendlich waren wir gezwungen, ein neues Spiel zu beginnen, da wir mit den Beweisen im Menü nicht mehr interagieren konnten. Generell sollte man zwischenzeitlich nicht so sehr an seinen erarbeitenden Spielständen hängen, da ein sogenannter „Gamebreaking Bug“ alles zum Stillstand bringen könnte…

Besonders in hektischen Situationen vergessen die NPCs gerne die Regeln der Physik

Das mag jetzt alles sehr negativ klingen, man sollte aber nicht den Umstand vergessen, dass sich der Titel auf PC momentan noch im Early Access befindet und erst zeitgleich mit den Konsolenports einen offiziellen Release am 26.09.2024 erhält. Zudem ist es nachvollziehbar, dass ein prozedural generierter Sandbox-Titel mit derartig komplexen Gameplay-Mechaniken ein Nährboden für allerlei Spielefehler ist. Wir gehen zum aktuellen Zeitpunkt davon aus, dass das Team von ColePowered Games hart daran arbeitet, Bugs auszumerzen, um das Spieleerlebnis in die bestmögliche Form zu bringen, und lassen die Myriaden an Glitches daher nicht ganz so schwer wiegen – ein kleiner Vertrauensvorschuss unsererseits sozusagen!

Fazit

Noch nie hat es sich so organisch angefühlt, Detektiv zu spielen! Die zufällig generierten Städte, völlig frei erkundbar, bieten die verschiedensten Ansätze, einem Täter auf die Schliche zu kommen – oder auch in einer Sackgasse zu landen! Die Gameplay-Systeme rund um Stealth, Profiling und physischen Auseinandersetzungen sowie Statuseffekte, ein Sozialkreditsystem oder Cyber-Implantate erzeugen eine Spieltiefe, die in diesem Genre vergeblich ihresgleichen sucht. Leicht repetetiv werden kann aber das immer gleiche Ausfüllen eines Formulars zum Lösen des jeweiligen Falles. Momentan findet sich in Shadows of Doubt zudem leider noch ein Übermaß an Bugs und Glitches, doch das sollte man dem ersten vollwertigen Sandbox-Detektivspiel – zumindest vorerst – nachsehen.

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Written by: Julian Bieder

Retro-Zocker, RPG-Allrounder und eifriger Trophäenjäger

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