Review: Psychonauts 2 – Ein Sequel, das sich positiv in euer Gedächtnis graben wird

16 Jahre nach dem Release des Originals und unzähligen Briefen von Fans, doch bitte eine Fortsetzung zu Psychonauts zu entwickeln, ist der Traum endlich Wahrheit geworden: Psychonauts 2 ist da! Tim Schafer und Double Fine haben es mit Publisher Xbox endlich geschafft, die Abenteuer von Razputin „Raz“ Aquato weiterzuerzählen. Kleiner Fun Fact: Als ich vor knapp fünf Jahren bei Cerealkillerz begonnen habe, schrieb ich als ersten Artikel einen Review für das HD Remake von Psychonauts. Deshalb könnt ihr mir glauben, wenn ich behaupte, dass meine Vorfreude für diesen Titel riesig war, und hoffe nun, euch meine Eindrücke möglichst genau schildern zu können. Doch genug der Vorrede, lassen wir das Spiel für sich selbst sprechen.

Raus aus dem Sommercamp, rein ins Praktikantenprogramm

Wer sich noch an den Inhalt des Vorgängers erinnert, weiß, dass Raz am Sommercamp für Psi-Begabte teilgenommen hat, um ein waschechter Psychonaut zu werden. Dafür ist er sogar von seiner im Zirkus arbeitenden Akrobatenfamilie davongelaufen, die absolut nichts von Psi-Kräften hält. Schlussendlich liegt es an Raz das gesamte Camp zu retten und im finalen Kampf wird er sogar von seinem Vater Augustus unterstützt, der ebenfalls psi-begabt ist. Nach dieser beeindrucken Leistung wird Raz ein Platz bei den Psychonauts angeboten, doch das glückliche Ende wird jäh unterbrochen, als die Protagonisten erfahren, dass der Anführer der Psychonauts, Truman Zanotto, entführt wurde. Nahtlos an diesen Handlungsstrang knüpft der VR-Ableger Psychonauts in the Rhombus of Ruin, in dem Zanotto aus den Fängen des wahnsinnigen Ex-Zahnarztes Dr. Loboto – der auch schon im ersten Teil einen Auftritt hatte -, gerettet wird.

Auch im zweiten Teil spielt Truman Zanotto eine wichtige Rolle.

Die Story von Psychonauts 2 beginnt mit Raz im Anzug, augenscheinlich an seinem neuen Arbeitsplatz sitzend. Doch schnell wird klar, dass die gesamte Umgebung nur Fassade ist, und man sich in Wirklichkeit im Kopf des verrückten Dr. Loboto befindet, der durch einen Trick den wahren Drahtzieher hinter der Entführung von Truman Zanotto preisgeben soll. Loboto durchschaut den Schwindel allerdings und versucht Raz mit Hindernissen und verschiedenen Gegnertypen abzuschütteln. Letztendlich erfahren die Psychonauts, dass eine unidentifizierte Person plant, Maligula wiederauferstehen zu lassen.

Kurzzeitig scheint es, als hätte Raz einen 08/15-Job zugewiesen bekommen.

Maligula ist eine ungeheure Schreckensgestalt, die nur von den „Psychic Six“ bezwungen werden konnte – ein legendäres Team und die Ursprünge der heutigen Psychonauts-Organisation, die ihre besten Tage scheinbar längst hinter sich haben. Manche von ihnen leben inzwischen in Isolation, sind verschwunden oder werden tot geglaubt. Der Anführer Ford Cruller, der quasi auch Mentor von Raz im Original war, leidet nach wie vor an seinem zersplitterten Gedächtnis, das stark an eine Schizophrenie erinnert. Das Allerschlimmste jedoch: Es gibt Hinweise darauf, dass ein Maulwurf die Psychonauts infiltriert hat. Es liegt also an Raz, die Gehirne der Leute und die missliche Lage in Ordnung zu bringen. Der hat es aber auch nicht leicht, denn er wird von den anderen Praktikanten gehänselt und dann taucht zu allem Überfluss auch noch seine Familie auf!

Raz mit seiner gesamten Familie, die mehr Chaos als Ordnung anrichten.

Double Fine liefert einen Traum aus Grafik und Gameplay

Wie schon 16 Jahre zuvor, vereint Psychonauts auch diesmal wieder einen 3D-Jump-’n’-Run mit Action-RPG-Elementen. Punktgenaues Springen auf Plattformen ist weiterhin das Salz in der Suppe, und wird abermals durch Raz‘ verschiedene Fähigkeiten abgerundet. Kann er zu Beginn zwar nur auf die, aus dem Sommercamp erlernten, Tricks zugreifen, wird er sich im Spielverlauf noch die ein oder andere nützliche aneignen. „Telekinese“, „Psi-Schlag“, „Pyrokinese“, „Schweben“ und „Hellsehen“ wurden aus dem ersten Teil übernommen, andere Fähigkeiten wie Schild oder Unsichtbarkeit sah der Entwickler für den zweiten Teil nicht mehr notwendig an und wurden deshalb nicht integriert.

Lili erinnert Raz daran, dass er mit Pyrokinese großflächig Dinge verbrennen kann.

Viel interessanter sind aber natürlich die brandneuen Skills: Mentale Verbindung stellt einen zentralen Teil des Gameplays – sie kann Gedanken im Gedächtnis der Leute verbinden und ihnen so eine neue Perspektive auf ein bestimmtes Thema geben. Beispielsweise bringt er so die Stellvertreterin von Truman Zanotto zu der Meinung, dass man ruhig mehr Risiken eingehen kann und Glücksspiel ein Weg zur Finanzierung ist. Wesentlich simpler funktioniert die Fähigkeit „Zeitblase“: Sie kann Gegner sowie sich bewegende Hindernisse drastisch verlangsamen. „Projektion“ erlernt Raz zuletzt und ermöglicht ihm, eine Doppelgänger aus Papier zu erschaffen, der durch enge Schlitze passt, aber auch im Kampf aushelfen kann.

Durch Rang-Aufstieg erlangte Punkte können für Fähigkeiten ausgegeben werden.

Neu ist auch, dass alle Fähigkeiten aufgerüstet werden können, sei es durch erhaltene Praktikantenpunkte oder durch Anstecker, die man an einem Automaten kaufen kann. Zweitere können ganz unterschiedliche Effekte haben, wie beispielsweise kosmetischer Natur (z.B. den Ball bei der Levitation in einer anderen Farbe darstellen) oder auch solche, die sich auf das Kampfgeschehen auswirken (z.B. das Kräfte schneller wieder einsetzbar sind). Apropos Kampf: Während diese aufgrund ihrer Einfachheit im ersten Teil noch ziemlich flach und uninspiriert wirkten, sind sie ein Glanzpunkt in Psychonauts 2. Dank der zahlreichen unterschiedlichen Gegner und ihren Effekte, beispielsweise dem „Schlechten Einfluss“, der andere Gegner vor euren Angriffen schützt, oder der „Schlechten Idee“, die euch aus der Distanz mit Bomben bewirft, kommt richtig Schwung in die physischen Auseinandersetzungen. Wer hier die richtigen Fähigkeiten im Kampf kombiniert, kann die Oberhand behalten.

Am Ende der jeweiligen Level stehen auch opulente Endgegner, wie beispielsweise der „Glücktopus“.

Das absolute Highlight bleibt aber, genau wie im Vorgänger, der aberwitzige Humor und die kreativen wie bizarren Bewusstseinswelten. Egal, ob man die Gedanken von Hollis Forsythe verwirrt und dadurch eine Mischwelt aus Casino erhält, sich n das zerbrochene Gedächtnis von Ford Cruller begibt, einen TV-Kochwettbewerb unter Zeitdruck austragen muss oder die Band für ein quietschbuntes Konzert zusammenführen muss – Spaß macht es immer.

„Ram It Down“ ist der Name der Kochshow, bei dem die Zuschauen auch zeitgleich die Zutaten sind.

Als wirklich einziges Manko bleibt die kurze Spielzeit für die Hauptstory zu erwähnen, die sich mit ca. 10 Stunden zu Buche schlägt. Allerdings kann man nach Abschließen der Handlung noch weiter Zeit damit verbringen, Nebenmissionen abzuschließen, Sammelgegenstände zu finden, die offene Welt zu erkunden oder versuchen den Höchstrang für Raz (Rang 102) zu erreichen.

Fazit

Psychonauts 2 zeigt vor, wie man ein erfolgreiches Sequel produziert: Man nimmt die Teile, die im Vorgänger bereits gut funktioniert haben, in diesem Falle Atmosphäre und eindrucksvolle Welten, und erweitert sie. Dann wird das Kampfsystem, das im ersten Teil eintönig war, von Grund auf dynamischer gestaltet. Zuletzt integriert man all die Zutaten und – et voilà – man erhält ein Spiel, das mehr ist als die Summe seiner Teile.

Positiv:

+ großartiger Humor, für den Entwickler Double Fine bekannt ist

+ jede einzelne Gedankenwelt ist ein Kunstwerk für sich

+ aufpoliertes Kampfsystem macht richtig Laune

+ jede Menge Sammelgegenstände und Nebenmissionen

Negativ:

– Haupthandlung ein wenig kurz geraten

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Written by: Julian Bieder

Retro-Zocker, RPG-Allrounder und eifriger Trophäenjäger

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