Obisidian Entertainment ist ein Entwickler, den man vor allem für Rollenspiele wie Fallout: New Vegas, Pillars of Eternity oder Outer Worlds kennt. Pentiment ist im weitesten Sinne ebenfalls ein Rollenspiel, spielt sich aber eher wie ein Visual Novel. Und auch das Setting ist überraschend. Es beginnt im 16. Jahrhundert im fiktiven oberbayerischen Städtchen Tassing und gibt uns als Protagonisten Andreas Maler. Andreas ist getreu dem Namen ein Künstler, der in Tassing sein Meisterstück im ebenfalls fiktiven Kloster Kiersau fertigstellen möchte. Wir haben uns Pentiment am PC sowohl in Deutsch als auch Englisch angeschaut.
Das beginnende 16. Jahrhundert im Schnelldurchgang
Der Titel Pentiment deutet dabei auf die Verwerfungen und Veränderungen hin, die in dieser Zeit vonstatten gingen. Pentimenti (von italienisch pentimento, Reue) sind Veränderungen bzw. Korrekturen, die z.B. an Malereien vorgenommen werden. Zu Zeiten in denen Martin Luther seine Thesen verbreitet und die Kirche massiven Einfluss hat, während in einem Dorf wie Tassing sogar noch heidnisches Gedankengut präsent ist, ist Veränderung allgegenwärtig. In diesem Rahmen bewegt man sich als Spieler und entscheidet zu Beginn in Dialogen, welchen Hintergrund Andreas hat. Hat er Jura studiert und ist er ein gewandter Redner? Absolvierte er seine Lehrjahre in Frankreich oder in Italien? War er ein Schwerenöter oder ist er sehr logisch unterwegs? Diese Eigenschaften ermöglichen es, im Laufe der zahllosen Gespräche im Spiel, verschiedene Antwortmöglichkeiten zu geben und dadurch speziell zu reagieren. Der gescheiterte Juristen-Andreas kann so der einsamen Witwe den Hinweis geben, dass der Abt sie eventuell über den Tisch ziehen möchte.
Die Hintergründe von Andreas gelten sowohl für die Dialoge als auch für Andreas‘ innere Monologe. Letztere werden u.a. von einem Schalk, der eher zu egoistischem Handeln rät oder von Sokrates, der philosophische Ansätze verfolgt, kommentiert. Im Zuge fast aller Gespräche kann man mittels multiple Choice Andreas‘ Antworten steuern. Ähnlich wie in den bekannten Telltale Spielen bekommt man dabei hin und wieder den Hinweis, dass die gewählte Antwort nun Konsequenzen hat. Zu späteren Zeitpunkten bekommt man diesen „Punktestand“ dann ggf. zu Gesicht. Je nachdem reagiert dann das Gegenüber wohlgesonnen oder eben nicht. Ob man nun einen Adeligen beim Gespräch über Luther mit dem obersten Klostermönch unterstützt oder nicht, wirkt sich also möglicherweise später aus. Über diese Wahlmöglichkeiten und Andreas‘ Hintergrund bietet sich also ein potentieller Wiederspielwert durch andere Dialogoptionen und zu findende Hinweise.
Mord, düstere Geheimnisse und Intrigen sind in Pentiment überall
Und diese Hinweise sind dringend nötig. Denn das idyllische Dorfbild bekommt im ersten Kapitel alsbald einen Knacks, durch einen auf den ersten Blick eindeutigen Mordfall. Ohne zuviel zu verraten, sei gesagt, dass im Kloster jemand ermordet wird. Einem der Mönche wird sogleich ein Motiv unterstellt und steht somit als Hauptverdächtiger fest. Andreas, der das nicht recht glauben will, kommt nun die Aufgabe zu, herauszufinden, wer nun diesen Mord begangen hat. Dies geschieht, ähnlich wie in der Phoenix Wright Reihe, durch die Befragung der Dorfbewohner und das Finden und Verfolgen von Hinweisen. Schnell stellt sich auch heraus, dass es durchaus mehr potentielle Täter mit verschiedenen Motiven gibt. Welche der Fährten man verfolgt, bleibt dabei dem Spieler selbst überlassen. Das Spiel weißt einen dabei auch oft darauf hin, dass das Ganze (zumeist zeitliche) Konsequenzen hat. Und auch zunächst belanglose Tätigkeiten wie das Mittagessen können helfen. Wer die richtigen Dorfbewohnern zu Tisch bittet, kann auch das ein oder andere praktische Gerücht aufschnappen. Auch ein paar Rätsel darf man lösen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Nachdem dann ein Mörder verurteilt wurde, gibt es einen Zeitsprung von sieben Jahren und man findet sich, nun als Malermeister, erneut in Tassing wieder. Dort blieb die Zeit natürlich ebenfalls nicht stehen und man führt alte Handlungsstränge fort, während sich neue auftun. Und so schreitet das Spiel und Andreas Leben voran.
Ein wunderschön illustriertes Bilderbuch
Doch egal ob als Malergeselle oder Malermeister, dieser mittelalterliche Krimi ist hervorragend dargestellt. Der Zunft der Hauptfigur entsprechend ist die gesamte Grafik gezeichnet und alles in einem dem 16. Jahrhundert angepassten Buchstil gehalten. Wenn von einem Ort zum anderen gewandert wird, blättert eine Seite eines Buches um. Das Questlog ist wortwörtlich ein Tagebuch und auch die Karte ist handgezeichnet. Selbst die Sprechblasen der einzelnen Charaktere werden von mit passendem Geräusch einer schreibenden Feder dargestellt. Und je nach Stand haben die unterschiedlichen Charaktere einen unterschiedlichen Stil. Wer mit dem Schriftsetzer spricht, sieht sogar zuerst die gesetzten Buchstaben, bevor der Text leserlich erscheint. Die Details, wie z.B. Tintenkleckse wenn jemand wütend ist oder „Verschreiber“ beim Sprechen tragen zusätzlich zu einem stimmigen Gesamtbild bei.
Auch die Momente in denen im Spiel in Büchern gelesen wird, sind ebenfalls hervorragend illustriert und beziehen die lesenden Charaktere mit in die Illustrationen hinein. Der vorgebene Stil wird dabei konsequent durchgezogen. Die Geräuschkulisse bleibt dabei etwas zurück, da hier ohne Sprache, wenig mit Musik und mehr mit Geräuschen gearbeitet wird. Diese sind zwar ebenfalls stimmig, aber gerade die komplette Absenz von gesprochenem mit Ausnahme eines singenden Mönchs, fällt fast schon störend auf. Angesichts der Menge an Dialogen und Monologen, war das aber höchstwahrscheinlich nicht im Budget, für einen Titel, der zum Release für 20€ bzw. „gratis“ im Microsoft Gamepass erscheint.
Übung macht den Meister
Wenngleich mit Obisidan Entertainment alte Hasen am Werk waren und sich das vor allem in den gut geschriebenen Dialogen bemerkbar macht (egal ob auf Deutsch oder Englisch), gibt es auch ein paar Ungereimtheiten in Pentiment. Allen voran gab es in unserer PC Version den ein oder anderen Bug, bei dem nach einem Klick auf die Karte, das Spiel einfror und gestoppt werden musste. Das ist zwar ärgerlich, aber der regelmäßige Autosave beim Wechsel des Gebiets verhindert Schlimmeres. Weitaus störender fanden wir Situationen in denen durch das Finden eines Hinweises zwar ein neuer Journaleintrag freigeschaltet wurde, man aber nicht in der Lage war, das dort Vorgeschlagene auch umzusetzen. Das könnte daran liegen, dass aus Storysicht keine Zeit mehr war, was Sinn gemacht hätte. Leider hat das Spiel dann aber nicht darauf hingewiesen. Möglich ist auch, dass man davor noch einen anderen zusätzlichen Hinweis hätte finden müssen. Aber auch dafür gab es keine zusätzliche Information. Das Journal ist ansonsten ein extrem hilfreiches Tool, um auch nach einer Spielpause wieder an die Handlung anschließen zu können, falls man etwas vergessen hat. Auch das Glossar, dass einem z.B. alle Klostertermini erklärt, hilft dabei durchweg. Diese Hilfe kann man auch während Dialogen direkt per Klick in Anspruch nehmen, da solche Wörter stets markiert werden. Zuletzt sei noch erwähnt, dass uns beim Spielen hin und wieder Stellen aufgefallen sind, an denen einzelne Dinge nicht vom Englischen ins Deutsche übersetzt waren. Nichts davon war weltbewegend, aber es fällt bei einem sonst sehr detailliert umgesetztem Spiel doch auf.
Fazit
Pentiment ist ein mitelalterliches Visual Novel und entwickelt sich nach einem langsamen Start zum fesselnden Krimi. Die Geschicke des Andreas Maler zu lenken macht Spaß und bietet eine interessante Story in einem wunderschön stilisiertem Setting. Wer sich fast-paced Action wünscht, ist dabei aber fehl am Platz. In Pentiment ist man hauptsächlich mit Lesen beschäftigt und verfolgt geduldig die Spuren auf der Suche nach der Wahrheit. Wer Freude am Setting hat, Detektivspielen und mittelalterliche Krimis mag, dem ist Pentiment wärmstens zu empfehlen. Obsidian Entertainment hat hier ausgetrampelte Pfade verlassen und uns ein innovatives Visual Novel gegeben. Besitzer des XBox Gamepasses können allemal reinschauen, da hier Pentiment bereits zum Release verfügbar ist. Für alle anderen ist man mit mehr als angemessenen 20€ dabei.
Positiv
- Stimmiges Gesamtsetting im Stil mittelalterlicher Malerei
- Spannende Story nach etwas langsamen Beginn
- Gut geschriebene Monologe/Dialoge sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch
- Kann in kleinen Happen gespielt werden, dank detailliertem Tagebuch und Glossar als Erinnerungsstütze
- Preis/Leistung top
Negativ
- Vereinzelte Bugs und einzelne nicht übersetzte Passagen
- Leider keine Vertonung der sprechenden Charaktere
- Manchmal Unklarheiten, wieso man einen Hinweis nicht mehr verfolgen kann, obwohl er gerade im Tagebuch aufgetaucht ist