Review: Minute of Islands – Ein emotionales Bilderbuch

Ein erster Blick auf Minute of Islands des Entwicklers Fizbin Studio aus Deutschland kann trügen. Der Zeichenstil erinnert im ersten Moment an eine Mischung alter europäischer Comics und Adventure Time. In Kombination mit der Hauptfigur Mo, ein kleines Mädchen in einem gelben Kleidchen, würde man ein auf Kinder ausgerichtetes Adventure erwarten. Tatsächlich bekommt man eine durchaus düstere, emotionale Story, die einen ins Grübeln bringt und teilweise sogar traurig werden lässt.

Inselparadies mit „Schönheitsfehler“

Die Inselkette auf der Mo lebt wurde nämlich vom „Pesthauch“, in Form von gelben Sporen, heimgesucht. Dieser Pilz sorgt beim Einatmen für Halluzinationen, nach einiger Zeit auch für den Verlust von Gliedmaßen und führt schlussendlich zum Tod des Infizierten. Bereits hier wird klar, dass die Thematik doch nicht so kinderfreundlich ist, wie erwartet. Aufgrund des Pilzes sind die meisten Bewohner der Inseln schon lange geflohen. Nur noch wenige Personen, wie Mos Schwester Miri oder ihre Oma, sind noch dort geblieben.

Weiterhin leben unter den Inseln vier Riesen-Brüder, die mit riesigen Kurbeln und ihrer Muskelkraft die Energieversorgung der Inseln am Laufen halten. Diese wiederum treiben Türme an, die die Luft von Sporen reinigen. Von diesen Riesen hat Mo den sogenannten Omni-Switch erhalten. Mit diesem Stab ist es möglich die Maschinen der Inseln in Schuss zu halten. Er dient ingame auch als Wegweiser, Kurbel, Pumpe und nicht zuletzt metaphorisch als Symbol für die Bürde, die Mo zu tragen hat.

Einer der vier Riesen

Ihre schicksalhafte Aufgabe als Lehrling der, optisch eher gruseligen, Riesen ist nämlich zu Beginn der Treiber der Story. Die Luftfilteranlagen für die Riesen im Untergrund sind auf allen Inseln zugleich ausgefallen. Mo muss diese schnellstmöglich reparieren, da sonst kein Sauerstoff im Untergrund ankommt und damit die Energieversorgung der Inseln wortwörtlich stirbt. Die Gefahr, die damit für die letzten verbliebenen Bewohner der vier Zwilingsinseln ausgeht, ist allgegenwärtig. Überall fliegen gelbe Sporen durch das Bild, da die Luftfiltertürme bereits ausgefallen sind. Alle Charaktere bis auf Mo tragen Schutzmasken und überall finden sich tote Tiere oder Möwen mit blutigen Schnäbeln, die sich von Walkadavern ernähren. Weiterhin sind die Maschinen der Riesen auf der Insel zum Teil biomechanisch und selbst die Planke zum Verlassen des Schiffes besteht aus sich bewegenden Tentakeln, die zu einer etwas befremdlichen und an H.R. Giger erinnerende Atmosphäre beitragen.

Mos Schiff mit Tentakeplanke
Mos Schiff beim Anlegen

Erinnerungen als Motivation

Der erwähnte Kontrast zwischen der durch den Zeichenstil entstandenen Erwartungshaltung und der harschen Realität von Mos Welt sind ein großer Faktor, der zum Weiterspielen motiviert. Man möchte erfahren, ob nicht doch etwas dieses Missverhältnis auflösen wird. Hilfreich dabei sind auf den Inseln „versteckte“ Erinnerungen von Mo. Diese kann man an bestimmten Stellen mit einem Tastendruck wachrufen. Danach fliegt eine Art Seifenblasentier durch die Luft und erzählt beim Aufsammeln eine Anekdote aus Mos Leben aus teilweise besseren Zeiten. Die Erinnerungen liegen manchmal etwas Abseits des Hauptweges. Man muss allerdings nur in ganz wenigen Ausnahmefällen aktiv suchen und stolpert stattdessen eher im Vorbeigehen darüber.

Die gefundene Erzählung wird dabei von einer Er-/Sie-Erzählerin hervorragend auf Englisch vertont. Die dazugehörigen deutschen Untertitel sind dabei auch sehr gelungen. Auch innere Monolege und Dialoge zwischen Charakteren werden durchgehend von derselben Erzählerin übernommen. Beobachtungen Mos von Gegenständen dagegen, werden im Normalfall von Textboxen beschrieben. Durch all diese Elemente erfährt man mehr über die Welt, den Pesthauch sowie Mos Verhältnis zu ihrer Aufgabe und ihren Mitmenschen.

Rätsel-Plattformer oder doch eher Visual Novel?

Das Gameplay beschränkt sich auf 2D-Plattforming und Schieberätsel. Außerdem gilt es manchmal, in der richtigen Reihenfolge „Ton-Erinnerungen“ zum Zusammensetzen einer Melodie zu finden. Alle diese Aufgaben sind durchweg nicht fordernd und wirken leider eher aufgesetzt. Bis auf eine einzige Ausnahme sind alle Rätsel intuitiv auf den ersten Blick lösbar. Es gibt außerdem auch keine Gegner, keine Energie und kein Game Over. Ein paar Geschicklichkeitspassagen erfordern Timing, um einer Art Überwachungskamera auszuweichen, die sonst eine Tür verschließt. Falls man hier scheitert, muss man jedoch für einen neuen Versuch nur kurz zurückgehen und einen Knopf erneut drücken.

Aus diesen Gründen sehen wir das Spiel eher als ein interaktives Bilderbuch/Visual Novel und weniger als einen klassischen Plattformer. Die Geschichte ist und bleibt dabei durchgehend der Treiber. Und so gut diese auch ist, so kurz gestaltet sie sich auch. Nach ca. 5-6h hat man alles gesehen/gehört. Die hervorgerufenen Emotionen/Gedanken, können einen jedoch auch noch danach lange danach beschäftigen.

Unaufdringlich realistisch erzählte Emotionen

Das liegt daran, dass nicht nur der Hauptstrang der Story interessant ist, sondern auch das Verhältnis von Mo zu ihrer Familie und den restlichen Inselbewohnern beschrieben wird. Hierbei entfaltet das Spiel seine größten Stärken. Denn die Aufgabe als Trägerin des Omni-Switches hat Mo zum Teil von ihrer Familie entfremdet, da sie lange Zeit unterirdisch bei den Riesen für ihre Aufgabe lernen musste. So hadert Mo zum Beispiel mit einem emotionalen Wunsch ihrer Großmutter, für den sie eigentlich keine Zeit hat, da sich die Riesen in Lebensgefahr befinden. Auch das Unverständnis ihrer Schwester Miri gegenüber der Aufgabe Mos und die Frustration ihres Onkels über seine eigene Hilflosigkeit im Angesicht des Pesthauchs sind ein Thema.

Dabei ist das Spiel nie aufdringlich oder erhebt den moralischen Zeigefinger. Die Deutung der Aussagen/Taten obliegt dem Spieler und erinnert ihn zugleich an selbst erlebte zwischenmenschliche Konflikte aus der echten Welt. Die Positionen/Motivationen der Charaktere sind dabei stets nachvollziehbar. Das Spiel „menschelt“ sozusagen im besten Sinne. Und auch die positiven Momente im Spiel, wenn z.B. die Oma noch zumindest eine Minute mit der Enkelin verbringen möchte oder der Onkel das Reparieren eines Filters mit einem Glas Wein begießen möchte, zeichnen ein realistisches und komplexes Bild der zwischenmenschlichen Beziehungen von Mo und den anderen Inselbewohnern.

Fazit

Minute of Islands ist ein hervorragend erzähltes Spiel. Mos Bürde und die daraus resultierenden zwischenmenschlichen Reibungen sorgen für eine emotionale Bindung zu den Charakteren und fesseln an das Spiel. Dabei hat man aber Im Kern ein Visual Novel vor sich. Unter dieser Prämisse hat Studio Fizbin, ein wirklich schönes und fesselndes, jedoch kurzes Werk kreiert.

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Written by: Steve Brieller

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