Review: Marvel’s Avengers – Spektakuläres Heldenfeuerwerk oder Skin Pack für Anthem?

„Games as a Service“ – ein Begriff, der sich erst in den letzten Jahren in der Videospielbranche fest verankert hat. Gemeint ist dabei ein Umsatzmodell, in dem laufend neue Spielinhalte kostenpflichtig beigestellt werden, um den Wiederspielwert und die Langzeitmotivation zu steigern. Vorreiter hierfür waren der Online-Shooter Destiny aus dem Hause Bungie, dicht gefolgt von Ubisofts Agenten-Thriller Tom Clancy’s – The Division. Der Erfolg gab ihnen Recht, weswegen beide Reihen mittlerweile zwei, aktuell noch immer erfolgreich laufende Ableger verzeichnen dürfen. Die Aussicht auf schnelles und leicht verdientes Geld rief im Januar 2019 auch Bioware auf den Plan, die mit ihrem Titel Anthem jedoch krachend scheiterten. Mit Marvel’s Avengers wagen sich nun Publisher Square Enix gemeinsam mit den Entwicklern von Crystal Dynamics an dieses Modell heran, die dabei auf die Unterstützung zahlreicher namhafter und beliebter Helden zählen dürfen. Ob das aber letzten Endes ausreicht, um ein gutes Videospiel zu sein, das verraten wir euch jetzt in unserem Test.

Die Avengers mal anders…

Die Geschichte von Marvel’s Avengers wird diesmal nicht aus der Sicht der aus den Filmen bekannten Helden erzählt, sondern aus der der jungen Kamala, ihres Zeichen Super-Fan des Heldengespanns. Diese darf bei der Veranstaltung des sogenannten A-Days in San Francisco als VIP ihre Vorbilder aus nächster Nähe bestaunen, ehe die Feier eine dramatische Wendung nimmt. Ein terroristischer Anschlag auf die Golden Gate Bridge leitet den Abbruch der Festivitäten ein und ist der Beginn einer düsteren Zukunft. Während sich Iron Man, Hulk, Thor und Black Widow ein heißes Gefecht gegen die vom Taskmaster angeführten Truppen liefern, muss Captain America im in der Nähe kreisenden Helicarrier feststellen, dass die Terroristen ein gänzlich anderes Ziel verfolgen. Angetrieben von einem neuen Kraftstoff, dem Terrigen-Kristall, droht das Luftschiff über der Stadt zu explodieren. Beim Versuch, dieses Szenario zu verhindern, opfert sich der Anführer der Avengers, hinterlässt dabei aber einen Trümmerhaufen, der zugleich auch der Startschuss für die sogenannten Inhumans und das Unternehmen A.I.M. ist. Fünf Jahre später sind die Avengers längst Geschichte und gelten als verachtet von der Gesellschaft, gab man ihnen doch die Schuld an dieser Katastrophe. Einzig die junge Kamala Khan will daran nicht glauben und fasst einen Plan, die wahren Verursacher zu entlarven die hinter dieser Misere stecken. Helfen sollen ihr dabei die neu gewonnenen Superkräfte, denn auch sie ist ein Inhuman seit den Geschehnissen des A-Days.

Die Story wird in spektakulären Sequenzen erzählt.

Kenner der Filme merken recht schnell, dass man in der Videospielumsetzung einen gänzlich neuen Weg bestreitet. Mit neuem Aussehen und Stimmen grenzt man sich klar von den realen Vorbildern ab und eröffnet seine eigene, in sich geschlossene Handlung. Diese fällt überraschenderweise ziemlich düster aus, was einerseits nicht nur erfrischend ist, sondern  auch die Ernsthaftigkeit gut einfängt. Dafür verantwortlich ist auch der neue Gegenspieler M.O.D.O.K. der bis dato nur Lesern der Comics ein Begriff ist. Auch wenn man sich klassischen Plot-Elementen bedient, so macht Kamalas Heldenreise und die Wiedervereinigung der Avengers viel Spaß und hätte gut und gerne länger ausfallen können in der rund siebenstündigen Hauptkampagne.

Über den Wartable steuert Ihr Haupt- und Nebenmissionen an.

Ein neuer Star ist geboren!

Größtes Verkaufsargument von Marvel’s Avengers ist natürlich die Auswahl an spielbaren Helden, dank der man sich mit seinem Favoriten ins  Kampfgeschehen stürzen darf. Diese begeistern mit individuellen Spielstilen und Fähigkeiten die leicht zu erlernen, aber schwierig zu meistern sind. Dafür sorgt vor allem der Fähigkeitenbaum, wo man nach jeden Levelanstieg einen Punkt investieren darf. Neben neuen Angriffen und Perks lässt sich dort ab Stufe 15 auch der eigene Spielstil individualisieren. Individuell gestalten lässt sich auch die Wahl der Ausrüstung, wo man Schwerpunkte auf Nah- oder Fernangriff legen kann, sofern man sich mit der Mechanik näher befasst. Ansonsten kann auch stets per Knopfdruck die bestmögliche Ausrüstung gewählt werden, die in erster Linie darauf abzielt, das eigene Heldenlevel zu erhöhen.

Jeder Held kann in bis zu drei unterschiedlichen Fähigkeiten-Bäumen angepasst werden.

Größte Überraschung von Marvel’s Avengers ist jedoch die Protagonistin Kamala Khan selbst, auch bekannt als Ms. Marvel. Mit ihren polymorphen Fähigkeiten spielt sich die junge Heldin sehr agil und bringt nicht nur die nötige Frische in den Heldentrupp, sondern sorgt auch charakterlich für gehörig frischen Wind. Zu verdanken ist das ihrer süßen Art, mit der Kamala nicht nur die Herzen der aufgelösten Avengers, sondern auch die der Fans erobert. Damit erweist sich Ms. Marvel als ein wahrer Glücksgriff für Crystal Dynamics, die auf den Spuren der Comic Vorlage eine saubere Arbeit geleistet haben. Während also das Grundgerüst rund um Helden und Handlung zu begeistern weiß, so offenbart man spielerisch leider eklatante Schwächen.

Neuer Loot macht sich nur statistisch bemerkbar, das Aussehen bestimmt ihr nur über Skins.

Avengers =/= Spielspaß

Wollt Ihr euch abseits der spannenden Story mal mit Nebenmissionen beschäftigen, dann gilt es einen Blick auf den Wartable in eurem als Basis fungierenden Helicarrier zu werfen. Dieser beschränkt sich auf einige wenige vordefinierte Regionen rund um den Globus, von wo aus Warzone-Missionen angesteuert werden. Dort startet Ihr jedes Mal in einem der offenen Mini-Gebiete und müsst zunächst zum Standort der Unternehmung reisen. Auch wenn zwischendurch einige Nebenschauplätz erkundet oder erobert werden können, besonders ansprechend wirkt hier keine der Regionen. Lieblos aufgebaut und äußerst leblos lässt man hier eine Menge Potenzial liegen, was im Anschluss sogar noch schlimmer wird. Mal müsst Ihr in ein Labor eindringen, einen Bunker plündern oder eine Forschungsanlage auseinander nehmen. Die Räumlichkeiten ähneln sich nicht selten bis aufs Haar und auch die darin zu erledigenden Missionsaufgaben wechseln sich kaum ab. Entweder gilt es vier Turbinen zu zerstören, drei Gebiete einzunehmen oder einfach nur fünf Ziele zu eliminieren, viel Vielfalt wird hier nicht geboten. Ein Umstand, den die Konkurrenz schon damals weitaus besser gelöst hat.

Die Welt und ihre offenen Gebiete sind mehr Schein als Sein.

Ebenfalls besser gelöst hat man dort auch die Belohnungen, denn der Weg in Marvel’s Avengers, euer Heldenlevel zu steigern ist ein mühsamer. Nach einer jeden Mission erhält man bestenfalls neue Ausrüstung, die euch nur marginal weiterbringt, was sich weder zufriedenstellend anfühlt, noch für Motivation sorgt. Grund hierfür sind auch die langen Ladezeiten oder mitunter auftretenden Bugs, die aus einer vermeintlich kurzen Mission eine dreißig-minütige Odyssey machen. Stellt man dann den neuen Loot in Relation zum zeitlichen Aufwand, dann macht sich schnell Frust breit. Dieser macht sich aber spätestens dann breit, wenn in Ermangelung an neuen Missionen und Aufträgen immer wieder derselbe Bunker oder Labor erobert werden möchte. Abhilfe schafft hier zum Zeitpunkt der Veröffentlichung auch das Endgame nicht, das entgegen der großartigen Ankündigungen im Vorfeld sehr schlicht und kurz ausgefallen ist.

Diesen Ladebildschirm werdet Ihr öfters zu sehen bekommen, egal ob mit KI-Kollegen oder menschlichen Spielerin.

Erfrischende Story, müdes Endgame

Während die Handlung wie so oft zu begeistern weiß, so ist es das Endgame in dem sich entscheidet, ob man das Zeug zu einem guten Games as a Service-Titel hat. Dies ist besonders Anthem ein Verhängnis geworden, wo man so gut wie keinen Anreiz schaffen konnte, länger dran zu bleiben. Zwar ist Marvel’s Avengers in diesem Punkt nicht ganz so schlecht aufgestellt, sonderlich viel gibt es nach Abschluss der Kampagne dort aber auch nicht zu entdecken. Zwar gibt es ein Wiedersehen mit dem Taskmaster und das Freispielen von neuen Artefakten, sonderlich spektakulär ist das Ganze aber jedenfalls nicht. Für die wenigen, Raid-artigen Missionen ist stundenlanges Grinden notwendig, was in Anbetracht der geringen Ausbeute kaum überzeugend ist. Dementsprechend wichtiger ist es, schon früh mit neuen Inhalten aufzutrumpfen, was bis auf die bereits angekündigten Zusatzhelden bislang noch kaum kommuniziert wurde.

Zu einem kurzen Wiedersehen mit dem Taskmaster kommt es leider erst im Endgame.

Zu allem Überfluss kommen auch noch technische Fehler hinzu, die in unterschiedlichster Weise auftreten können. Ein ewig laufender Ladebildschirm, feindliche Ziele die plötzlich verschwinden oder schlichtweg das Einfrieren des Bildschirms, Marvel’s Avengers lässt kein Fettnäpfchen aus. Besonders ärgerlich war jedoch der berüchtigte Black Widow-Bug, der uns im Zuge der Story ereilt ist. Hier schaffte erst ein Sprung in den Multiplayer-Modus Abhilfe, der nach Abschluss der Hauptkampagne spielt und dementsprechend bereits Spoiler enthielt. Zumindest bleibt euch dort die Wahl selbst überlassen, ob Warzone Missionen mit KI-Kollegen, oder menschlichen Spielern bestritten werden sollen. Während sich computergesteuerte Kameraden im Kampf gut anstellen, so werden Missionsziele stets ignoriert und euch überlassen. Dieses Problem hat man zwar mit menschlichen Gefährten nicht, eine zwingend größere Hilfe sind die meisten aber ebenfalls nicht, denn wie es sich für Helden gehört will sich jeder ins Rampenlicht spielen, was Teamwork ebenfalls obsolet erscheinen lässt.

Dank dem Black Widow-Bug gibt es eine zweite Kamala, mit der man leider die notwendigen Story-Dialoge nicht auslösen kann.

Fazit

Marvel’s Avengers ist ein ambitioniertes Projekt, das mit Unterstützung der weltweit bekannten Helden überzeugen will. Leider zeigen spielerische Schwächen und mangelnde Endgame-Inhalte erneut, wo sich die Spreu vom Weizen trennt. So gesehen überwiegen all die negativen Aspekte und machen Marvel’s Avengers zu einem unbefriedigenden Spielerlebnis, das trotz der starken Story leider nicht mehr ausgeglichen werden kann.

Positiv:

+ Spektakuläre Story mit einigen Überraschungen

+ Sehr sympathische Protagonistin mit Ms. Marvel

+ Bis zu sechs spielbare Helden mit individuellen Spielstilen verfügbar

Negativ:

– Open-World Gebiete sind viel zu klein, lieblos und langweilig

– Technische Fehler trüben den Spielspaß

– Endgame-Inhalt nur mangelhaft vorhanden

– Kaum abwechslungsreiche Nebenmissionen und Schauplätze

– Unbefriedigendes Loot-System

– Sehr lange Ladezeiten vor und nach den Missionen

Marvel’s Avengers ist am 04.September 2020 für PC, Playstation 4, Stadia und Xbox One erschienen.

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Written by: Manuel Barthes

Ehemaliger freier Redakteur bei Cerealkillerz