Wenn Ihr moderne Actionspiele verstehen wollt, dann bringt Euch ein Blick auf Dark Souls und Castlevania: Symphony of the Night schon verdammt weit. Kaum andere Spiele haben so sehr beeinflusst, wie Studios heute Leveldesign, Charakterentwicklung und Schwierigkeitsgrad angehen. Klar, diese übergroßen Vorbilder haben auch dazu geführt, dass vieles inzwischen gleich aussieht und es massig miese Kopien gibt, aber hin und wieder kommt ein Spiel, das die Magie dieser Klassiker so gut einfängt, dass es sich fast wie ein Durchbruch anfühlt. Selbst wenn es eigentlich „nur“ Dinge wiederholt, die wir schon mal gesehen haben. Und kommt Mandragora ins Spiel und unser Test wird euch zeigen, warum.
Der schnellste Weg, Euch das Feeling von Mandragora: Whispers of the Witch Tree zu beschreiben? Stellt Euch vor, Castlevania hätte Euch persönlich auf dem Kieker. Es spielt sich in klassischer 2D-Perspektive und ist vollgestopft mit Gothic-Ästhetik, bröckelnden Burgen und einem herrlich fiesen Bestiarium, darunter auch einige der besten Vampire, die wir je in einem Spiel gesehen haben. Dazu kommt ein tiefes Fortschrittssystem à la Dark Souls sowie ein Schwierigkeitsgrad, der Euch möglicherweise dazu bringt, Eure Meinung zu Soulslike-Spielen grundsätzlich zu überdenken. Das Spiel startet in einer düsteren Fantasy-Welt mit einem Priesterkönig – optisch verdächtig nah an Skeletor – der in seinem Thronsaal eine Hexe foltert. Eure Figur, eine Inquisitorin oder ein Inquisitor in seinem Dienst, zeigt einen Moment Gnade und erlöst die Hexe, wird daraufhin aber gleich losgeschickt, die nächste zu fangen. Eine Mission, die Euch mit ziemlicher Sicherheit das Leben kosten wird.

Dark Fantasy meets Genre-Mix
Und so zieht Ihr los, durch Sümpfe und Kanäle, Burgen und Katakomben, immer auf der Jagd nach der gesuchten Hexe, während Ihr unterwegs Monster zuhauf plattmacht. Auch wenn Mandragora aussieht wie ein klassisches Metroidvania, hat es ein paar Überraschungen parat, selbst wenn Ihr eigentlich die Nase voll habt von dem Genre. Der Fokus liegt ganz klar auf dem brutalen Kampf. Wenn Euch irgendwo ein Hindernis den Weg versperrt, geht’s oft weniger darum, erst später mit einem neuen Item zurückzukehren, sondern eher darum, in der Nähe einen Schlüssel oder eine Abkürzung zu finden. Was viele Metroidvania-Spiele auszeichnet, ist ein gewisser Spielfluss: Die meisten Gegner sind Kanonenfutter, die man quasi im Vorbeigehen erledigt. Nur selten muss man sich mal wirklich konzentrieren oder mit einem besonderen Skill arbeiten.

Versucht das bei Mandragora und Ihr beißt schneller ins Gras, als Ihr „Checkpoint“ sagen könnt. Jeder Gegner verlangt volle Konzentration und präzises Timing. Wenn Ihr da nicht auf Zack seid, schicken Euch selbst einfache Monster postwendend zurück zum letzten Speicherpunkt. Sobald mehr als zwei, drei Gegner gleichzeitig auf dem Bildschirm sind, wird’s richtig knifflig, dann müsst Ihr wirklich alles geben. Besonders gemein: Das Ausdauersystem lässt im Nahkampf nur ein paar Schläge am Stück zu. Überzieht Ihr, könnt Ihr nicht mal mehr ausweichen, Game Over. Und dann kommen die Bosse und Ihr merkt: Alles vorher war nur Aufwärmtraining. Einige Bosse gehen mit ein bisschen Übung klar, wenn Ihr gutes Timing habt und Eure Skills kennt. Viele tauchen später im Spiel wieder auf, dann mit leicht veränderten Movesets. Das gibt Euch die Chance, Eure Taktik zu verfeinern. Die Hauptbosse aber? Die verlangen Euch alles ab. Die Bosskämpfe sind durchweg clever designt, mit eigenen Fähigkeiten, manchmal mit Adds (also zusätzlichen Gegnern), manchmal mit zweiter Phase nach dem „Sieg“. Andere verändern sogar mitten im Kampf die Arena. Und alle hauen rein wie ein Güterzug. Ich hab die besten Bosse von Mandragora gehasst. So richtig. Ich war kurz davor, den Controller zu werfen. Aber: Ich hab gelernt.

Umfangreicher als man denkt, aber ist das gut?
Der fiese Griff? Kann man ausweichen, aber nur, wenn Ihr exakt richtig steht. Der Flächenangriff? Der lässt sich doch umlaufen, wenn Ihr rechtzeitig losrennt. Die Bosskämpfe in Mandragora sind fast kleine Puzzles, bei denen es weniger um rohen Schaden, sondern mehr um Beobachtung und cleveres Taktieren geht. Und das gilt auch für schwere Stellen abseits der Bosse: Lockt Gegner einzeln an oder nutzt die Umgebung zu Eurem Vorteil, dann habt Ihr auch bei scheinbar unmöglichen Situationen eine Chance. Und noch etwas macht das Spiel spannend: Wie Ihr Eure Figur aufbaut, verändert die ganze Spielerfahrung. Am Anfang wählt Ihr aus sechs Klassen, die auf einem praktischen Bildschirm erklärt werden, wie gut sie im Nahkampf sind, wie mobil, wie viel sie einstecken. Ich hab den „Vindicator“ genommen, eine Art defensiven Magier mit Streitkolben, der offensive Zauber nutzt, die Euch gleichzeitig heilen und Schilde geben. Egal, für was Ihr Euch entscheidet – jede Klasse hat einen eigenen passiven Bonus und einen gewaltigen Talentbaum, der stark an das Sphärobrett aus Final Fantasy X erinnert. Anfangs wirkt das alles völlig überfordernd, aber je länger man spielt, desto mehr Spaß macht das System. Jeder Knotenpunkt bringt eine spürbare Verbesserung oder Fähigkeit, keine langweiligen „+1 Stärke“-Zweige. Nach Level 15 könnt Ihr sogar in die Talentbäume anderer Klassen einsteigen, aber nur, wenn Ihr wisst, was Ihr tut. Einen „Easy Build“, der das Spiel trivial macht, hab ich bisher nicht gefunden.

Die Story kommt zwar nicht ganz an die mechanische Tiefe ran, hat mich aber trotzdem überrascht. Klar, dass der Priesterkönig der eigentliche Böse ist, riecht man zehn Kilometer gegen den Wind. Aber sobald sich Euer Charakter gegen ihn stellt, wird’s interessanter. Die Welt ist düster, der Ton sitzt, und obwohl die Handlung nicht super originell ist, passt alles gut zusammen. Auch wenn die Spielzeit bei fast 30-40 Stunden mir fast schon zu lang erschien, da es sich hier und da dann doch einigermaßen zieht. Die Grafik trägt enorm zur Atmosphäre bei: dunkle, wunderschöne Kulissen, beeindruckende Architektur, flüssige Animationen. Die Monster sind gruselig, aber nicht eklig, und das Design ist eigenständig. Alles ist lesbar, nichts überladen – das hilft im Kampf ungemein. Was mich aber am meisten überrascht hat? Wie witzig Mandragora stellenweise ist. Etwa, wenn Ihr einen gefangenen Vampir freilasst, der sich dann… naja, sagen wir mal: sehr bedankt. Oder die Gespräche mit Euren Gefährten am „Hexenbaum“, die den ernsten Ton mit einem Hauch Humor auflockern, ohne albern zu sein. Mandragora könnte leicht in der Flut der Soulslike-Metroidvanias untergehen, aber dafür ist es einfach zu gut gemacht. Ich hab viele Soulslikes gemieden, weil sie sich zu sehr auf „hart um jeden Preis“ fokussieren. Mandragora zeigt aber, dass Schwierigkeit auch eine Geschichte erzählen kann. Dass man sich durchbeißt und genau das so befriedigend ist.

Fazit
Mandragora: Whispers of the Witch Tree erfindet das Rad für den Genre-Mix aus Metroidvania und Soulslike nicht neu, packt es aber in ein gekonnt stimmiges Dark-Fantasy-Paket, was einen trotz des bockschweren Schwierigkeitsgrades nicht an Motivation verlieren lässt. Wenn ihr also durch andere Spiele bereits ein dickes Fell für derartige Spiele habt und Lust auf eine sehr schön ausgearbeitete, düstere Welt steht, steht euch hier nichts im Weg.

Positiv:
+ sehr schöne, düstere Welt
+ viele Klassenkombinationen für Builds
+ wunderbar umgesetztes Dark-Souls-Gefühl
Negativ:
– wirklich bockschwer
– Spieldauer zieht sich etwas zu lang
– Bosse wiederholen sich