Review: Lost Records: Bloom & Rage – Tape 2 legt emotional nochmal eine Schippe drauf

Das letzte Mal, als wir unsere Teenie-Mädelsgang gesehen haben (siehe unsere Lost Records: Bloom & Rage – Tape 1-Review), ging alles gerade den Bach runter. Nach einem Punk-Konzert auf dem Parkplatz einer heruntergekommenen Bar – ein wütender, ungefilterter Aufschrei voller Teenie-Wut und Frust, der bei den Barbesuchern nicht gerade gut ankam – spuckt Kat plötzlich Blut und wird ins Krankenhaus gebracht. Swann, Autumn und Nora bleiben schockiert zurück, die Erkenntnis, was ihre Freundin ihnen verheimlicht hat, sitzt tief. Gerade eben waren sie noch unaufhaltsam, jetzt ist plötzlich alles anders. Doch wird das alles auch spannend aufgelöst? Und wo bleibt eigentlich das Gameplay dabei? Mehr dazu in unserem Test.

Freundschaft, Wut und übernatürliche Girlpower

Wie bei Life is Strange, dem Spiel, das Don’t Nod bekannt gemacht hat, ist auch Lost Records in Episoden aufgeteilt. Tape 2 ist quasi das emotionale Nachbeben des Finales von Tape 1. Wie die Titel schon andeuten: Tape 1 war das „Bloom“ – das Aufblühen einer neuen Freundschaft – und jetzt kommt „Rage“. Es ist manchmal etwas holprig, aber das Finale von Lost Records liefert genau das, was wir wollten: Herzschmerz, queere Liebe, melancholische Pop-Balladen und übernatürliche Gänsehaut. Als Abschluss der neuen Teenie-Drama-Serie von Don’t Nod? Großartig. Tape 2 folgt der gleichen Struktur wie der erste Teil: Wir erleben Swann und die anderen sowohl in den 90ern als Teenager als auch heute, 27 Jahre später, als erwachsene Frauen, die sich an diesen einen Sommer zurückerinnern. Eine mysteriöse Paketlieferung bringt sie wieder zusammen und droht, all das wieder aufzuwühlen, was sie eigentlich für immer vergessen wollten. Die Spannung zwischen den Frauen ist spürbar, während nach und nach klar wird, warum sie sich damals geschworen haben, sich nie wiederzusehen. Tape 1 war noch eher leichtfüßig: Die Mädels albern rum, proben mit ihrer Band, genießen Sonnenuntergänge. Tape 2 ist anders. Jetzt wird’s laut, rebellisch, wütend, manchmal sogar gewalttätig. Das mysteriöse Loch im Wald hat sie im Griff, und seine Kraft beginnt langsam, sich in ihr Leben einzuschleichen. Lost Records versteht, dass Teenie-Wut – vor allem von Mädchen, die durch eine übernatürliche Macht angetrieben werden – heftig, schön und kraftvoll sein kan

Die angespannte Dynamik zwischen den Girls wird auch durch das Entscheidungssystem im Spiel verstärkt. In Tape 1 fühlte es sich noch so an, als gäbe es keine „falschen“ Antworten. Man konnte einfach man selbst sein. In Tape 2 ist das ganz anders: Die Situation ist ernster, und ich hatte wirklich das Gefühl, meine Entscheidungen zu verkacken. Ich war wieder ein Teenie, unsicher, wie ich helfen kann, was ich sagen soll. In einem Gespräch mit Autumn über das Konzert merkt man richtig, wie unterschiedlich wir die Situation sehen – sie bereut alles, ich nicht. Ich wähle meine Antworten hektisch, will meine Meinung sagen, aber habe gleichzeitig Angst, sie zu verletzen. Es ist herzzerreißend. Das wirkt alles sehr bewusst so designt und fühlt sich echt an. Tape 2 bringt euch aus eurer Komfortzone. Es zeigt, wie kompliziert Freundschaften sein können. Manchmal sagt man das Falsche, manchmal läuft es anders als geplant, aber es bringt die Geschichte immer weiter. Die verschiedenen Enden wirken nie wie das „richtige“ oder „falsche“, das ist eine echte Stärke des Spiels.

Spielerische Experimente, die leider nicht fruchten

Auch wenn man mitten in der Story steckt, lohnt es sich, die Umgebungen zu erkunden – so entdeckt man viele kleine Details. Manche Orte kennt ihr schon aus Tape 1, aber sie fühlen sich jetzt ganz anders an. Die Hütte im Wald, einst voller Leben, wirkt nun leer und kalt. Swanns Zimmer, das sie fürs Auswandern nach Kanada ausräumt, ist durchzogen von Melancholie. Ein Zettel in einem Buch von Autumn bedankt sich für die Leihgabe und euch wird klar: Sowas wird’s wohl nicht mehr geben. Ein Kalender mit all den geplanten Sommeraktivitäten, jetzt eine Liste von Momenten, die nie passieren werden. Die Camcorder-Aufnahmen bekommen eine ganz neue Bedeutung. Früher waren’s lustige Musikvideos und spontane Clips. Jetzt ist es ein Zeitkapsel, Erinnerungen an eine Zeit, bevor alles auseinanderbrach. Was ich in Tape 1 noch als Umgebungsbilder aufgenommen hab, dreht sich jetzt nur noch um die Mädels. Nahaufnahmen, intime Momente, stille Szenen. Ich wünschte, ich hätte damals andere Dinge festgehalten. Und genau das schmerzt.

Neu in Tape 2 ist, dass die Kamera auch mal für Gameplay-Rätsel genutzt wird – etwa wenn ihr einen Zahlencode aufnehmt und später zum Öffnen eines Tors braucht. Cool! Weniger gelungen sind andere Versuche. In einer Szene reißt Corey die Kamera an sich und jagt euch, ihr seht das Ganze aus seiner POV. An sich eine nette Blair-Witch-Hommage, aber es spielt sich umständlich und ist schnell wieder vorbei. Auch ein Schleich-Abschnitt, bei dem Swann durchs Fenster in Kats Zimmer einsteigen will, wirkt unausgereift und deplatziert. Bei mir ging das mehrfach schief, aber das Spiel tat so, als hätte ich’s geschafft. Der Haken? Diese Szene beeinflusst eine riesige Entscheidung in der Gegenwart. Und das nur wegen eines missglückten Minispiels? Nope. Raus damit.

Das Mysterium bleibt und gibt Raum für mehr

Zum Glück sind diese Ausrutscher selten. Und das, was mir am meisten Sorgen machte, nämlich, dass Don’t Nod das Geheimnis um „The Abyss“ zu sehr erklären würde, passiert nicht. Tape 2 bewahrt sich das Unheimliche bis zum Ende. Die Leere, das Loch, das Abyss, es bleibt abstrakt. Ein Symbol für Traumata, Mobbing, Scham, Teenager-Unsicherheit. Es ist nicht klar, was die vier Mädchen davon haben, aber es ist offensichtlich: Die Verbindung zwischen ihnen macht es stärker. Wenn wir hier von „Girl Power“ sprechen, meinen wir nicht den Hochglanz-Feminismus einer Katy Perry. Wir reden von Mädchen, die sich Macht zurückholen, weil Teenie-Mädchen oft keine Macht haben. Die Verbindung zwischen Teen-Girls und dem Übernatürlichen ist alt, denkt an Buffy, The Craft, Sabrina. Und Lost Records reiht sich da perfekt ein. Das Abyss will die Mädchen nicht zerstören – es sieht sie als würdig. Im Gegensatz zu anderen Queer-Coming-of-Age-Stories wie Goodbye Volcano High, fühlt sich das hier elektrisierend an, nicht bloß bunte Lichter, sondern echte, queere Energie. Und was ich besonders liebe: Lost Records spielt nicht in einer Schule. Endlich mal keine Highschool-Story! Stattdessen erleben wir einen Sommer voller Freiheit, fernab von Schulregeln, Cliquen und sozialen Zwängen. Das fühlt sich richtig gut an. Die Charaktere sind mehr als nur Skaterinnen, Nerds oder Ausreißerinnen. Sie müssen sich zwar immer noch gegen das konservative Kleinstadtleben behaupten, aber sie tun’s auf ihre Weise.

Fazit

Lost Records: Bloom & Rage – Tape 2 schafft es die Konzepte aus dem ersten Tape zu nehmen und emotional einmal komplettt auf links zu drehen. Die Stimmung ist eine komplett andere und viele der vorher noch so banalen Aktivitäten fördern jetzt eine neue melancholische Sicht darauf. Das Gameplay rückt in den Hintergrund und stagniert sogar, aber die Story trägt nun bittersüße Früchte.

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Written by: Nick Erlenhof

Hitoshura, Sith & FOXHOUND-Spectre

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