Die Life is Strange-Reihe hat unzählige narrative Spiele inspiriert, in denen eure Entscheidungen die Geschichte und das Schicksal der Charaktere beeinflussen. DON’T NOD sind Meister des Geschichtenerzählens, und mit Lost Records: Bloom & Rage kehren sie zu ihren Wurzeln zurück. Und während es all die bekannten Elemente bietet, für die das Studio berühmt ist, bringt es mit der Videokamera-Mechanik auch etwas Neues mit sich. Und was die Story angeht? Ich bin jetzt schon gespannt, wo die Reise hingeht, denn wir haben mit Tape 1 „Bloom“ ja erstmal nur die Hälfte der Geschichte vor uns. Doch mehr dazu in unserem Test.
Eine mystische und schmerzhafte Freundschaft
Lost Records: Bloom & Rage spielt in den 90ern und erzählt von der intensiven Freundschaft zwischen vier Außenseiterinnen. Doch etwas passiert, das sie auseinanderreißt. Über 20 Jahre später treffen sie sich in einem Diner wieder – nachdem sie ein mysteriöses Paket erhalten haben, das sie mit dem Ereignis verbindet, das damals alles veränderte. Was genau diese Freundschaft zerbrechen ließ, bleibt zunächst noch länger unklar und wir wollen diesen Faktor natürlich nicht direkt verraten. Doch der Wechsel von unbeschwert und nostalgisch zu beklemmend und düster in den letzten Sekunden gibt Hoffnung auf eine packende Geschichte, wenn es dann im April im zweiten Tape weitergeht. In meiner Zeit mit dem Spiel konnte ich tief in die Freundschaft der vier eintauchen, zahlreiche Anspielungen an die 90er genießen und mich von DON’T NODs erzählerischem Talent mitreißen lassen. Swann, eine introvertierte Film-Liebhaberin, packt gerade ihr Zuhause zusammen, bevor sie Velvet Cove verlässt. Während sie eine Dark Crystal-VHS sucht, um sie zurückzugeben, experimentiert sie mit ihrer Videokamera. Mit der linken Schultertaste wird die Kamera aktiviert, mit der rechten aufgezeichnet. Zoomen, herumlaufen, Aufnahmen erneut ansehen, die Mechanik ist intuitiv und bietet später noch tiefere Funktionen, etwa beim Dreh eines Musikvideos mit ihren neuen Freundinnen.

Denn nachdem Swann von ein paar Rowdys gerettet wird, freundet sie sich mit drei weiteren Außenseiterinnen an: Autumn, die selbstbewusste Anführerin; Nora, die rebellische Rockerin mit Punk-Attitüde; und Kat, die ruhige, aber geheimnisvolle Denkerin der Gruppe. In ihrer Garage, während einer Bandprobe, lernt sie sie besser kennen. Schließlich steht die Idee im Raum: ein Musikvideo drehen und Swann weiß genau den richtigen Ort. Nach ein paar Dialogentscheidungen und einem kurzen Rhythmusspiel schwenkt die Geschichte in die Gegenwart, ins Jahr 2022. Diese Szenenwechsel treten sehr häufig auf und ihr seid immer wieder in beiden Zeiten unterwegs. In der Gegenwart habt ihr keine Kamera mehr, das Spiel wechselt in die Ego-Perspektive und ihr findet allerhand Punkte, um in der Vergangenheit zu schwelgen. Swann und Autumn denken an damals zurück, an die Aufnahmen auf dem Naturpfad, schöne Erinnerungen, aber auch schmerzhafte. Beim Dreh des Videos offenbaren sich subtile Spannungen zwischen den Freundinnen. Als Swann Kat und Nora bittet, sich vor einem alten Motorrad zu küssen, reagiert Kat zurückhaltend, als ob sie tiefere Gefühle für Nora hätte. Nach einem Tag voller Musik, Lachen und gemeinsamer Momente kehrt die Gruppe zurück, um das Musikvideo anzusehen. Doch inmitten der Aufzeichnung passiert etwas Unheimliches: Das Band spult von selbst zurück, das Licht geht aus, und für einen Moment hält die ganze Gruppe den Atem an. Was dann passiert möchten wir nicht verraten, aber der Ton, wenn er auch immer wieder schon durch ernste Andeutungen gewechselt wurde, nimmt danach eine ganz andere Atmosphäre an. Wir sind auf jeden Fall jetzt schon auf das nächste Tape gespannt, was im April erscheint.

Der treue Camcorder, heimlicher Star des Sammelwahns
Was Lost Records: Bloom & Rage jetzt schon besonders macht, sind seine Charaktere. Ihre Dialoge sind authentisch, ihre Beziehungen greifbar, genau das, was DON’T NOD so gut kann. Die 90er-Referenzen und die detailverliebten Umgebungen tragen zur Atmosphäre bei, und die Kamera-Mechanik fühlt sich nicht wie ein Gimmick an, sondern als echter Bestandteil der Erzählweise. Neben der für die Story relevanten Drehszenen könnt ihr eure Kamera in den Szenen mit der jungen Swann auch so immer wieder zücken, um versteckte Szenen, beziehungsweise Collectibles zu finden. Denn aus fast allem möchte Swann einen Film drehen. Somit filmt ihr den ersten Vogel, um dann zu sehen 1/15 Vögeln entdeckt. Fortan also gilt es in jeder Szene Ausschau zu halten, denn wenn ihr alle beisamen habt, wird eine Art 90s-Kurzfilm erstellt, den Swann auch direkt kommentiert. Bei den Vögeln bleibt es dabei natürlich nicht und es gibt neben Graffity oder Szenerien viele filmbare optionale Möglichkeiten. Und da kommt auch ein Problem für mich zum Vorschein, denn da ich diese Szene alle sehen möchte, bin ich in jeder neuen Location erstmal nur mit abscannen per Kamera beschäftigt, um auch nichts zu verpassen und kümmere mich erst danach um alles abseits der Kamera, was manchmal etwas die Immersion gebrochen hat, wenn jeder Charakter um mich herum nur fragt, warum ich denn alles filme und ihnen nicht antworte.

Doch das ist kein großer Kritikpunkt, da dies natürlich ein selbstgemachtes Problem ist, da ich mir einfach andere oder gar keine dieser Sammelitems gewünscht hätte, um mich komplett in die Welt reinsaugen zu lassen. Musikalisch wird euch natürlich gewohnt gutes geboten und auch grafisch kann das Spiel durch sehr schön farbliche Szenerien beeindrucken, besonders wenn diese in kräftige lila oder ähnliche Töne getaucht sind. Was dafür etwas abfällt sind immer wieder Texturen, die manchmal noch kurz nachladen oder auch die Lippenbewegungen der Charaktere. Nicht bei allen und nicht immer, aber es fällt auf, besonders da dies beim kürzlich veröffentlichten „Konkurrenten“ Double Exposure so gut gelöst wurde. Doch apropos Life is Strange, denn wer das bereits mochte, wird sich hier sofort zu Hause fühlen. Die Story steckt voller Mysterien, aber es sind die zwischenmenschlichen Dynamiken, die wirklich fesseln. Wenn die restliche Geschichte hält, was das erste Tape verspricht, könnte Lost Records: Bloom & Rage ein weiteres Highlight von DON’T NOD werden.

Fazit
Lost Records: Bloom & Rage Tape 1 ist ein toller Auftakt für die neue Reihe von Don’t Nod. 90s-Charme und eine wirklich sehr gut geschriebene Gruppe an Charakteren bilden das Herzstück des Spiels und können gepaart mit Mystik und einigen sehr ernsten Themen wirklich überzeugen. Die neue Kamera-Mechanik hat zwar noch etwas Luft nach oben, doch wir sind sehr gespannt auf Tape 2 „Rage“.

Positiv:
+ gut geschriebene 4er-Gruppe
+ 90s Charme mit Horror-Mystik
+ cool integrierte Kamera-Mechanik
+ Wechsel der Zeitebenen hält sehr gut die Spannung
Negativ:
– Collectibles über Kamera können stören
– nachladende Texturen
– Lippenbewegungen in schwankender Qualität