Es gibt wohl dieses Jahr bisher kein Spiel, was so eigen und besonders ist wie Indika. Es paart nicht nur einige Genre zusammen, sondern bietet auch einen unangenehmen, aber auch sehr nachdenklichen Blick auf ein alternatives Russland und die darin herrschenden Weltansichten. Doch macht es auch als Spiel Spaß oder wird einem das mit der Zeit vielleicht auch einfach etwas zu merkwürdig? Unser Test findet es heraus.
Ein ganz normaler Tag im Kloster
Indika ist eine unangepasste russisch-orthodoxe Nonne auf einer Mission. Sie soll dem Danilov-Kloster eine Nachricht überbringen, was eine willkommene Abwechslung ist, denn die anderen Nonnen in ihrem eigenen Kloster hassen sie abgrundtief. Doch die Reise wird spektakulär schief gehen und das ist kein Spoiler, denn der Ton von Indika warnt uns sofort, dass wir eine erlösungsfreie Zone betreten haben. In den sechs Stunden, die ich brauchte, um das Spiel zu beenden, bewegt sich unsere zum Scheitern verurteilte Heldin durch eine Reihe düsterer, entmenschlichter Umgebungen, löst eine Reihe von Rätseln, überlebt einige äußerst miserable Begegnungen, scheitert bei allem, was sie sich vorgenommen hat, und muss dann dennoch weiterleben. Ich habe mich dabei nicht wohl gefühlt, aber ich habe es trotzdem geliebt.
Indikas Beschwörung des Russlands des späten 19. Jahrhunderts ist mit einem vom Horror geprägten Surrealismus durchsetzt: Die engen, matschüberfluteten Gassen des Klosters werden von herabhängenden Kuppeln beschattet, und außerhalb der Klostermauern ist alles bizarr überdimensioniert, sogar die klapprigen Hunde. Die Welt ist gespickt mit unerklärlichen Abgründen und knorriger Architektur. Ruinen sind allgegenwärtig, obwohl wir nie erfahren, warum. Die Umgebungen sind selten logisch zusammenhängend: Eine Stadt wird von einem riesigen Viadukt überschattet, das wiederum von einem riesigen Kloster überschattet wird. Aus irgendeinem Grund durchquere ich diese Weite meist über Brüstungen und Gerüste. Das Ergebnis ist impressionistisch, träumerisch und gleichzeitig sehr „videospielelastig“, nicht zuletzt, weil der Soundtrack aus Ambient-ähnlichem Chiptune besteht, der sich manchmal in poppigen Tanz verwandelt.
Typisches Adventure trifft auf verrückt gute Ideen
Was für ein Spiel ist Indika? Wenn man den schrägen Ton weglässt, ist es ein erzählerisches Third-Person-Abenteuer mit Umgebungsrätseln. Die Rätsel sind nicht immer brillant oder originell, aber sie sind zumindest abwechslungsreich und nutzen die unkonventionellen Umgebungen auf interessante Weise. Es gibt einige Verfolgungsjagden mit Trial-&-Error-Entscheidungen, und es gibt eine Jump’n’Run-Sequenz mit riesigen toten Fischen, die ich regelrecht gehasst habe. Und Indika kann zwar nicht schießen, schlagen, sich ducken oder springen, aber es gibt eine Gebetstaste. Kurz nachdem sie ihr Kloster verlassen hat, trifft Indika den entflohenen Sträfling Ilja, der sie mit einer vielversprechenderen Option von ihrer Mission abbringt: Im nahe gelegenen Spasov gibt es ein geheimnisvolles Artefakt namens Kudets, das „das einzige vernünftige Heilmittel gegen Unfruchtbarkeit, Ungehorsamkeit, Untreue und andere körperliche Komplikationen und Seelenleiden“ bieten soll. Ilya will das Kudets, um seinen verkrüppelten Arm zu heilen; Indika will nur die sündigen Stimmen in ihrem Kopf stoppen. Sie wird nämlich ständig von Versuchungen und gedanklichen Verbrechen bedrängt, die euch auf dem Weg begleiten. Manchmal übernimmt ihr teuflisches Alter Ego dabei die Kontrolle und die Welt spaltet sich buchstäblich in zwei Teile. Die einzige Möglichkeit, das zu beheben, ist, die Gebetstaste zu drücken, wodurch die Welt wieder in eine proportionale Harmonie gebracht wird, was als eines der interessanten Rätsel im Spiel daherkommt.
Aber das ist noch nicht alles. Indikas Reise in die Gegenwart wird durch eine Reihe von Rückblenden unterbrochen, die in Form von Pixel-Art-Minispielen stattfinden, die u. a. auf Pac-Man, Micro Machines und Frogger verweisen. Durch diese Rückblenden lernen wir Indika als 15-jährigen Teenager kennen und erfahren schließlich, warum sie ins Kloster gezwungen wurde. Was zunächst als willkommene Auflockerung empfunden wird, entpuppt sich natürlich als abgrundtiefe Finsternis. Der krasse tonale Bruch des Spiels (niedliche Pixel in einem Moment, Unreal-Engine-Ödnis im nächsten) ist einer der Gründe für die Berühmtheit von Indika vor der Veröffentlichung. Es dient einem größeren Zweck als dem Flair, denn Indika hat einige lustige, aber zweideutige metatechnische Intentionen. Zum Beispiel gibt es ein RPG-Statistiksystem, mit dem man Punkte für verschiedene unerwünschte Eigenschaften wie Schuldgefühle und Kummer sammeln kann. Im Ladebildschirm werde ich zweimal gewarnt, dass die Punkte nichts bedeuten und es stimmt, dass das Aufleveln im Spiel keine spürbaren Auswirkungen hat. Indika scheint die Erfahrungspunkte als eine Art spirituelle Währung zu verwenden – je höher ihr Level, desto stärker ihre spirituelle Rechtschaffenheit und ihre Macht über ihr Alter Ego -, aber dies ist ein Spiel, das in kleinen Zweideutigkeiten schwelgt, die eher dazu dienen, Fragen zu stellen, als mit Bedeutung zu erschlagen. Sogar das Ende, in dem das Levelsystem eine große Rolle spielt, aber nicht so, wie man es erwarten würde, ist extra unvollständig, auch wenn es ein wenig dazu beiträgt, sowohl die Statistiken als auch die Pixelgrafiken zu erklären.
Das Medium Videospiele einmal ausgereizt
Es ist also eine faszinierende erzählerische Leistung, aber ist es auch als Spiel geeignet? Für diejenigen, die eine russische Version von A Plague Tale: Innocence oder was ähnliches suchen, könnten die Kürze, die Linearität und die unwirtliche, hoffnungslose Stimmung ein Hindernis sein. Aber ich respektiere es, dass Indika sich nicht mit einigen seiner interessanteren Rätselideen aufhält, nur um die Spielzeit zu verlängern. Ein großer Teil der konfrontativen Kraft des Spiels kommt von der erfrischenden Schroffheit seines Endes. Indika geht einige wilde tonale Risiken ein, geht aber größtenteils auf Nummer sicher, wenn es um die Dinge geht, die ihr mit euren Händen macht. Und dazu muss an dieser Stelle noch einmal die wirklich die sehr guten englischen Stimmen und das generelle Sounddesign gelobt werden. Denn dies hebt das Spiel gepaart mit den wirklich filmreifen Kamerawinkel nochmal eine Stufe hinauf, wenn man sich denn darauf einlassen mag.
Fazit
Indika ist eine brutale Komödie, Arthouse-Kino in einem alternativen Russland und ein trockener Blick auf Religion und was diese fordert. Als Spiel vereint es dabei Adventure-, Walking-Simulator- und Puzzle-Elemente zu einem einzigartigen Gameplay-Cocktail, der dabei nicht selten bizarr ist. Wollt ihr einmal die Grenzen des Mediums Videospiele ausloten, so gehört dieses Spiel definitv dazu, auch wenn einige Platforming-Sequenzen wirklich nervig sind.
Positiv:
+ exzellente visuelle Präsentation mit einem einzigartigem Stil
+ wunderbar surreal und überrascht immer wieder
+ tolles Setting
+ starke Charaktere mit großartigen Synchronstimmen
Negativ:
– Gameplay bleibt relativ simpel
– einige nervige Puzzle und Platforming-Abschnitte