Es ist kaum zu fassen, aber es sind fast zehn Jahre seit Dragon Age: Inquisition vergangen und man kann wohl sagen, dass der Entwickler BioWare in diesem Jahrzehnt einiges durchgemacht hat. Das Studio hat seine einst führende Stellung in der Branche mit Mass Effect: Andromeda und ANTHEM praktisch verspielt – zwei Titel, die so weit hinter den früheren Standards zurückblieben, dass die Erwartungen an das nächste Projekt des Teams auf einen historischen Tiefpunkt gesunken sind. Dragon Age: The Veilguard ist dieses Projekt, eine Rückkehr in das fantastische Setting von Thedas und ein neues Abenteuer, das auf der reichen Lore seiner drei Vorgänger basiert. Es ist auch kein Geheimnis, dass The Veilguard – zuvor bekannt als Dreadwolf – nach einem besonders turbulenten Entwicklungszyklus endlich das Licht der Welt erblickt. Schauen wir doch mal in unserem Test wie gut das geklappt hat.
Eine schwere Geburt
Wir wissen nicht genau, wie viele Formen das Projekt im Laufe der Zeit angenommen und wieder abgelegt hat, aber das Spie, ist vermutlich der beste Dragon Age-Titel seit Origins. Wir sagen „vermutlich“, weil es sich um das neue Dragon Age handelt, vollgestopft mit Action-Kämpfen, farbcodiertem Loot und vereinfachten Dialogrädern. Und das ist verständlich, angesichts der Veränderungen, die auch BioWare seit 2009 durchgemacht hat. Aber in einer Welt, in der Baldur’s Gate 3 existiert und das als Goldstandard für moderne, wahlgetriebene RPGs gilt, fühlt sich The Veilguard leider ein wenig zu spät zur Party gekommen an, und es kann auf rein rollenspielerischer Ebene einfach nicht mithalten. Ihr seid Rook, ein vollständig anpassbarer und ziemlich unwahrscheinlicher Held, dem die gewaltige Aufgabe übertragen wird, sich mit zwei antiken Elfen-Göttern auseinanderzusetzen, die nun aus ihrem ätherischen Gefängnis befreit sind. Nachdem Ihr eine ganze Weile damit verbracht habt, Euren perfekten Protagonisten zu erschaffen – mithilfe des beeindruckend tiefgehenden Charaktererstellungssystems – werdet Ihr mitten ins Geschehen geworfen, als der zurückkehrende Schurke Varric die Leitung gegen seinen alten Kumpel Solas übernimmt.
Wenn Ihr Inquisition und die entscheidende Trespasser-Erweiterung gespielt habt, werdet Ihr wissen, worum es geht. The Veilguard ist eine direkte Fortsetzung in Bezug auf die zentrale Handlung, spielt jedoch Jahre nach den Ereignissen des Vorgängers. Daher setzt es stark auf die etablierte Dragon Age-Erzählung, fühlt sich aber gleichzeitig fast wie ein eigenständiges Abenteuer an, mit überwiegend neuen Charakteren und Schauplätzen. Neueinsteiger sollten keine allzu großen Schwierigkeiten haben, sich zurechtzufinden. Das Spiel startet sehr stark: eine Reihe dramatischer, schnell abgehandelter Story-Missionen setzen den Ton und liefern genau das, was man von einem BioWare-Titel erwartet. Als das Abenteuer sich öffnet mit Rook, der eine übernatürliche Struktur namens „Leuchtturm“ zu einer Basis gemacht hat, wird schnell klar, dass Mass Effect 2 eine große Inspiration für den strukturellen Aufbau des Spiels war. Im Grunde genommen muss Rook ein Team zusammenstellen, um diese lästigen Götter zu besiegen und so beginnt sich ein Netz von charaktergetriebenen Handlungssträngen zu entwickeln. BioWares beste Spiele waren immer durch ihre Charaktere definiert, und auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass Rooks Verbündete je auf dem gleichen Sockel wie Garrus, Morrigan oder sogar Varric landen, bietet The Veilguard trotzdem einige liebenswerte Persönlichkeiten.
Etwas seicht zurück zu alter Stärke
Als wir uns dem Finale der Hauptgeschichte näherten, hatten wir bereits ein starkes Interesse an Rook und seiner Truppe entwickelt und wenn das nicht bedeutet, dass BioWare wieder auf dem richtigen Kurs ist, wissen wir auch nicht weiter. Allerdings kann das Schreiben manchmal etwas zu seicht wirken, um es mal vorsichtig auszudrücken und es fehlt häufig der Witz und die Schlagkraft, die moderne Klassiker wie Baldur’s Gate 3 oder The Witcher 3 so fesselnd machen. Aber selbst wenn es zwischendurch zu viele Marvel-typische Sprüche gibt, ist das Skript emotional packend, wenn es darauf ankommt. The Veilguard kann ein wirklich fesselndes RPG sein, wenn man vor wichtigen Entscheidungen steht und den Atem anhält, während die Konsequenzen sich entfalten. Das Problem ist, dass diese gewichtigen, handlungsverändernden Entscheidungen ziemlich selten vorkommen. Der Großteil der Dialogoptionen reduziert sich darauf, zu entscheiden, wie Rook auf die aktuelle Situation reagiert, anstatt sie wirklich zu beeinflussen. Zugegeben, die Persönlichkeit des Helden durch oberflächliche Dialoge zu gestalten, ist wichtig, es hilft, eine Verbindung herzustellen, aber immer wieder haben wir uns nach tiefergehenden Interaktionen gesehnt.
Aber es ist nicht so, dass The Veilguard sein Dragon Age-DNA komplett aufgegeben hätte. Tatsächlich sind es gerade die Entscheidungen zu Beginn des Spiels, die sich am stärksten auswirken: Ihr könnt Rooks Rasse, Hintergrund und Klasse wählen. Diese Entscheidungen hallen durch das gesamte Abenteuer und verändern überraschend viel in den Dialogen sowie in der Wahrnehmung, die Ihr sowohl bei den Gefährten als auch bei den verschiedenen Fraktionen der Welt erzeugt. Strukturell ist The Veilguard über mehrere verschiedene Schauplätze verteilt, jeder dieser Orte kann über riesige magische Spiegel namens Eluvian erreicht werden. Euer Hub, der erwähnte Leuchtturm, befindet sich im Zentrum dieses Netzwerks und ermöglicht Euch einen bequemen Zugang zu den nächsten Quests. Einige dieser Orte sind einmalige Stopps, Plätze, an denen Hauptmissionen und wichtige Gefährtenquests stattfinden. Sie sind lineare Bereiche, die es BioWare ermöglichen, fantastische Setpieces zu kreieren, die von atemberaubenden Landschaften untermalt werden. Hier ist The Veilguard am stärksten, wenn es darum geht, sorgfältig gestaltete Kämpfe mit packender Erkundung und spannenden Story-Momenten zu verbinden. Einmal mehr: Peak BioWare.
Der schönste Titel des Studios
Im Jahr 2024 sind AAA-Spiele allerdings nicht mehr einfach nur fließend. The Veilguard ist zwar nicht Open-World, bietet aber eine Reihe großer, nahtloser Umgebungen, die generische Nebenquests und zu viele Kartenmarkierungen beherbergen. Es erinnert stark an God of War (2018) und God of War Ragnarok, eine Metroidvania-ähnliche Herangehensweise, bei der bestimmte Fähigkeiten von Gefährten zusätzliche Wege öffnen, die zu versteckten Truhen führen. Zum Glück handelt es sich hier nicht um die gleiche Art von Ballast, die Inquisition gehemmt hat, es gibt längst nicht so viele MMO-ähnliche Sammelaufgaben, und Eure Mühen werden meist mit einzigartigem Loot oder coolen Bosskämpfen belohnt. Aber man könnte argumentieren, dass The Veilguard insgesamt ein besseres Erlebnis wäre, wenn man viele der Nebenaktivitäten gestrafft und sich auf kuratierte, Mass Effect 2-ähnliche Missionen konzentriert hätte. Wie bereits erwähnt, ist Dragon Age nun ein vollwertiges Action-RPG, auch wenn es ein Zeitstopp-Menü gibt, mit dem Ihr Befehle an Eure aktuellen Teammitglieder erteilen könnt. Es ist im Grunde genommen das Kampfsystem von Mass Effect, nur mit Schwertern, Schilden und Magie. Es gibt sogar „Detonationen“ zu berücksichtigen, Skill-Kombos, die zu hoch-schaden verursachenden Kettenreaktionen führen. Shepard wäre stolz.
Dank einiger kniffliger Gegnertypen und täuschend schwieriger Parry-Zeiten fühlt sich der Kampf anfangs etwas unbeholfen an. Aber sobald es klickt, vielleicht fünf Stunden später, wird das Kämpfen gegen Geister, Dämonen und dunkle Brut zu einem echten Highlight. Wenn man die Entwicklung der Reihe betrachtet, war Dragon Age’s schleichender Übergang zum Action-Kampf schon fast unausweichlich, und es ist eine Erleichterung, dass BioWare es geschafft hat, etwas zu kreieren, das sich großartig spielt und beim Erfolg wirklich zufriedenstellt. Und es ist nicht so, dass es jetzt Devil May Cry ist. Der Kampf hat immer noch eine strategische Komponente, da Ihr oft gezwungen seid, bestimmte Ziele zu priorisieren oder Eure Fähigkeiten für den perfekten Konterangriff aufzusparen. Es ergibt ein schönes Gleichgewicht zwischen den Momenten, in denen Ihr reagiert, und dem aktiven Versuchen, den Rhythmus eines Kampfes zu kontrollieren. Mit unterschiedlichen Charakter-Bauten, unterstützt von fantastischen Fertigkeiten-Bäumen, die echte Entscheidungen verlangen, gibt es einiges, was an The Veilguard‘s Action zu mögen ist. Unsere einzige wirkliche Kritik richtet sich gegen die visuelle Überladung, die zuweilen auf dem Bildschirm herrscht, besonders bei größeren Kämpfen. Schadenszahlen, Ziel-Linien, blinkende Parry-Anzeigen, das kann Eure Fähigkeit, das Schlachtfeld zu überblicken, ernsthaft beeinträchtigen. Visuell ist The Veilguard ebenfalls ein echter Hingucker. Wie bereits erwähnt, ist die Gestaltung der Umgebungen herausragend; von den zerfallenden, traumartigen Strukturen des Fade bis zum wunderschön herbstlichen Arlathan-Wald, es ist eine ästhetisch sehr ansprechende Erfahrung. Auch die Charakterdesigns sind hervorragend, auch wenn die gesamte künstlerische Ausrichtung des Spiels fast vollständig den früheren, grittigeren und blutigeren Stil der Reihe hinter sich gelassen hat.
Fazit
Dragon Age: The Veilguard ist ein Rückkehr zu alter Form, wenn auch nicht die Bestform. Die actionreichen Kämpfen mit Taktik-Elementen machen wieder viel Spaß und die Charaktere, sowohl gut als auch böse, bringen die gewohnte Bioware-Qualität. Etwas stringenter hätte es durchaus sein dürfen und viele wirklich gewichtige Entscheidungen gibt es auch nicht, doch ihr bekommt hier den besten Titel des Studios seit Mass Effect 3.
Positiv:
+ toller Charaktereditor und generell viele Einstellungen
+ befriedigende Action-Kämpfe
+ klasse Cast an Charakteren
+ grafisch teils echt beeindruckend
Negativ:
– zu viele uninteressante Nebenaufgaben
– fehlende Entscheidungen mit Impact
– wenig Gegnertypen
– etwas zu seicht und unblutig