Platinum Games ist nicht gerade bekannt dafür, dass sie Material für Kinder produzieren. Doch die Märchenbuchoptik von Bayonetta Origins – Cereza and the Lost Demon täuscht. Einige der Szenen im Spiel, sind definitiv nicht für kleine Kinder geeignet. Gleichzeitig ist es aber auch kein typisches Spiel der japanischen Entwickler. Nach dem etwas enttäuschenden Bayonetta 3 (hier unser Test) ist das aber vielleicht auch garnichts Schlechtes.
Doch was erwartet uns tatsächlich von Bayonettas Kindheit? Zuallererst sei gesagt, dass Platinum Games gottseidank nicht versucht hat Bayonettas Persönlichkeit und Gebahren von 11 auf 2 runterzuschrauben und das der kleinen Hexenschülerin Cereza aufzudrücken. Die Übersexualisierung und das übertriebene Selbstbewusstsein sind schlicht nicht vorhanden.Tatsächlich ist Cereza ein etwas aufmüpfiges Mädchen, dass von ihrer Lehrmeisterin Morgana zur Hexe ausgebildet werden soll. Leider stellt sie sich dabei noch etwas ungeschickt an und begibt sich dann auch noch in den verbotenen Wald. Ihre einzige Begleitung ist ihr Plüschtier Cheshire, der im Laufe der Story als Medium für einen Dämon aus Inferno herhalten muss. Und dieser Dämon hat große Klauen und stellt seine Muskeln zur Verfügung.
Große Mietzekatze
Das ist auch bitter nötig, da Cereza ständig von den Bewohnern des Waldes, Feen, angegriffen wird. Und hierbei handelt es sich nicht um klassische Feen, sondern um kinderverschleppende Waldgeister, die nichts Gutes im Sinn haben. Genau wie in Bayonetta (Engel) wird also etwas „klassisch Gutes“ als Gegner dargestellt. Cheshire ist dabei im Gegensatz zu Cereza in der Lage Schaden zu verursachen, während seine Beschwörerin versucht die Gegner mit Magie festzuhalten. Die Steuerung des Ganzen erfolgt dabei über zwei Joycons. Die linke Joycon steuert Cereza, während die rechte Joycon Cheshires Geschicke lenkt. Das Tutorial zu Beginn ist dabei recht praktisch, da man sich doch erst an das parallele Steuern gewöhnen muss. In weiterer Folge geht es aber gut von der Hand. Zumeist kann man aber Cheshire als Cereza tragen oder im Fall von Rätseln die beiden einzeln und nacheinander bewegen. In Kämpfen dagegen sollte man dagegen schon ein Auge auf beiden Charakteren haben.
Grundsätzlich ist das Spiel nicht sonderlich schwierig, sobald man die Grundlagen verstanden hat. Bei Schwierigkeiten bieten die Entwickler allerdings mehrere Optionen an, die den Schwierigkeitsgrad quasi auf null setzen. Spätestens, wenn sich selbst unverwundbar macht, da man keinen Schaden mehr erleiden kann, wird Bayonetta Origins zum Visual Novel. Aber das bleibt jedem selbst überlassen und stört nicht im Geringsten.
Metroidvania in 3D
Im Verlauf des Spiels upgraded man dann auch sowohl Cheshire als auch Cereza (sehr anfängerfreundlich mit getrennten Ressourcen), sodass diese besser Kämpfen bzw. besser Gegner festhalten können. Leider gibt es hier keine besonderen Fähigkeiten, die den Spielstil großartig beeinflussen würden. Die größten Unterschiede machen dabei noch die verschiedenen Formen, die Cheshire über die Story hinweg bekommt. Mit diesen Fähigkeiten werden auch die neuen Gebiete erschlossen. Denn insgesamt ist Bayonetta Origins wie ein Metroidvania aufgebaut. Man kommt immer wieder an Stellen vorbei, die ohne die passende Fähigkeit nicht zu durchqueren sind. Und irgendwann führt ein Gebiet einen im Kreis und wieder zu solchen Stellen zurück und siehe da, mit Fähigkeit X, geht es nun weiter.
Im zweiten Drittel des Spiels wird dann auch eine Schnellreisefunktion freigeschaltet, wodurch man dann auf backtracking Jagd gehen kann, um Wisps (von den Feen verschleppte und im Wald gestorbene Kinder) zu befreien, Items und Ressourcen zu sammeln. Das ist aber zu keinem Zeitpunkt in unserem Playthrough nötig gewesen. Das Spiel deutet einem immer an, in welchem Gebiet es weitergeht und wenn man sich an diese Hinweise hält, ist es quasi unmöglich sich zu verlaufen. Grundsätzlich hat man also die Möglichkeit sich später noch an die 100% Vervollständigung zu wagen, aber man kann auch sehr linear durch die Story wandern.
Die Story- und Charakterentwicklung bietet Altbekanntes, aber mit sehr gutem Pacing und furiosem Finale
Diese gibt sich wenig überraschend, da die Charakterentwicklung von Cereza als ängstliches Mädchen allein im Wald, das dann langsam an Selbstbewusstsein und Mut gewinnt, schon hundertfach in allen Variationen erzählt wurde. Dass auch das ungleiche Duo Cheshire und Cereza zusammenwächst, sollte ebenfalls keine Überraschung sein. Der interessante Part sind dann eher die Beziehungen zu bereits Bekanntem aus den Bayonetta Spielen. Wir wollen daher hier nichts spoilern, es sei aber gesagt, dass einem an der ein oder anderen Stelle Dinge bekannt vorkommen werden. Und sei es zu Beginn nur der Name Cheshire. Gleichzeitig kann man das Spiel aber auch ohne jegliches Vorwissen spielen. Wer Bayonetta nicht gespielt hat, verpasst, unserem Gefühl nach, wenig. Der Fanservice ist zwar vorhanden, aber ist eben ein Bonus und kein Muss, um das Spiel zu genießen.
In jedem Fall ist aber sowohl das Pacing als auch die Darstellung des Ganzen hervorragend gelungen. Das beginnt bereits damit, dass das gesamte Spiel erzählt/dargestellt wird, als sei es ein Märchenbuch, inklusive einer Erzählerin mit „Oma“-Stimme. Diese intoniert auch Cheshires Kommentare und versucht dabei wie ein böser Dämon zu klingen. Cereza selbst hat eine eigene Sprecherin und klingt wie man sich ein britisches posh Girl vorstellt. Als Alternative gibt es aber auch japanische Stimmen. Schriftlich kann man natürlich auch auf Deutsch wechseln. Die Sprecher sorgen also für passende Stimmung und fügen sich wunderbar in die detailreiche, bunten Märchenwaldumgebung ein. Auch die düsteren Ecken, in denen die Feen Illusionen erschaffen haben und das ganze alptraumhaft wirkt, sind sehr gelungen. Ebenso verhält es sich mit der Musikgestaltung und dem gesamten Ambiente. In der Präsentation gibt sich das Spiel absolut keine Blöße. Und wer sich in das Abenteuer wagt, sollte es auf jeden Fall auch bis zum Schluss durchziehen, da die Story dort weitaus mehr an Fahrt gewinnt, als man zu Beginn vermutet.
Platinum Games hat sich für Cerezas Abenteuer wohl überall bedient
Platinum Games hat sich offensichtlich keine Grenzen gesetzt, von wo und was sie sich inspirieren ließen. Wie bereits gesagt wird man häufig an Grimms Märchen erinnert. Auch Alice im Wunderland bzw. Lewis Carroll im Allgemeinen, dürfte hier desöfteren Pate gestanden haben. Ein prominentes Gameplay Element ist derweil aus der irisch-keltischen Mythologie entlehnt: Tír na nÓg. Diese Mini-Dungeons kann man sich ein wenig wie die kleinen Schreine von Zelda Breath of the Wild vorstellen. Dort werden Kämpfe bestritten, Rätsel gelöst oder Geschicklichkeitspassagen erledigt. Bei den Rätseln kommt hier auch das Twinstick Element und damit die getrennte Steuerung öfter erzwungen zum Tragen. Nach dem Lösen dieser Levels zerfallen auch die Illusionen der Feen und das schaltet neue Wege frei.
Wer möchte kann die Tír na nÓg Levels auch nochmal als Time Trial zur Higscore Jagd und für Ressourcen spielen. Um die eigenen Chancen dabei zu erhöhen, kann aber auch die Joycon einem Freund in die Hand zu drücken. Aus unserer Sicht ist es nämlich tatsächlich möglich Bayonetta Origins – Cereza and the Lost Demon komplett im Couch Co-op zu spielen. Man hat zwar nicht den Eindruck, dass das Spiel darauf ausgelegt ist, aber es funktioniert definitiv. Der einzige Feind, der einen dann noch aufhalten kann, ist die Kamera.
Cerezas und Cheshires Dämonen
Die Kamera ist nämlich Fluch und Segen zugleich. Einerseits bietet sie teils wunderschöne Perspektiven und foreshadowed die zukünftigen Gebiete oder zeigt eine Truhe, die man sonst vielleicht übersehen hätte. Andererseits ist sie etwas überfordert, wenn sich Cereza und Cheshire voneinander entfernen. In den allermeisten Fällen ist Cereza nämlich im Fokus. Das heißt dann aber auch, dass Cheshire nur weiterlaufen kann, wenn seine Herrin mitläuft, falls die Kamera mal doch nicht rauszoomed. Das ist kein Deal Breaker, aber hat uns doch das ein oder andere Mal Nerven gekostet.
Ebenso nervig, aber nie vermeidbar sind die rhythmusspielartigen Tänze, die Cereza für ihre Magie verwenden muss. Zu Beginn ist das noch ganz nett und wird gebraucht um z.B. Pflanzen wachsen zu lassen. Dabei hält man die linke Schultertaste gedrückt und ein Zeiger fährt über (zu Beginn) drei Punkte. Wenn diese Punkte markiert sind, muss man den Stick im Takt in diese Richtung drücken. Später muss man den Stick auch halten und bewegen bzw. es gibt mehr Punkte. Spätestens dann wird das Ganze aber mühsam und man überlegt, ob man hier die Automatik für sich arbeiten lässt. Lobenswert sei aber erwähnt, dass diese Automatik überhaupt existiert. Damit läuft das „Minispiel“ automatisch ab. Insgesamt wäre es aber schön gewesen, hier etwas mehr Abwechslung oder weniger Wiederholungen einzubauen.
Fazit
Bayonetta Origins – Cereza and the Lost Demon ist ein wunderschönes spielbares Märchenbuch mit einem netten Twinstick Gimmick. Die im Kern sehr klassische Story über den Werdegang Cerezas/Bayonettas wird atmosphärisch perfekt präsentiert. Das Gameplay funktioniert über große Teile des Spiels auch sehr gut, leidet aber an manchen Stellen an vielen Wiederholungen. Da die Story aber zum Schluss hin, immer mehr an Fahrt gewinnt, gleicht das Pacing diesen Missstand größtenteils aus. Wer sich allerdings ein Actionfeuerwerk wie in der Hauptreihe erwartet, wird größtenteils enttäuscht werden.
Positiv
- Perfekte Präsentation, sowohl grafisch als auch akustisch
- Sehr gutes Story Pacing, wenngleich mit wenigen Überraschungen
- Vorheriges spielen der Bayonetta Reihe ist keine Voraussetzung, bietet aber ein paar aha und ooh Momente
- Twinstick Gameplay als Abwechslung zu Altbekanntem
- Couch Co-Op mit zwei Joycons möglich
- Schwierigkeitsgrad massiv nach unten korrigierbar für ein eher erzählerisches Erlebnis
Negativ
- Gameplay Elemente wiederholen sich ein bisschen zu oft
- Wenig Stellen in denen man wirklich gezwungen wird parallel beide Charaktere zu steuern
- Grundsätzlich keine große Herausforderung für geübte Gamer
- Die Kameraeinstellungen sind teilweise Hit or Miss
- Wer sich die Action der Hauptreihe erhofft wird enttäuscht