Review: Assassin’s Creed Valhalla – Brutale Wikinger auf den Spuren von Cowboys und Hexern

Wir schreiben das Jahr 2007, als ein gewisser Miles Desmond mit Hilfe des sogenannten Animus in die Erinnerungen des Assassinen Altairs schlüpfte. Damals hätte wahrscheinlich noch keiner ahnen können, dass das den Startschuss für die erfolgreichste Spiele-Reihe aus dem Hause Ubisoft markieren soll. Dennoch geriet der Motor der höchst beliebten Saga nach mehreren, rasch hintereinander veröffentlichten Titeln ein wenig ins Stocken. Ein Neustart musste also her, der mit Assassin’s Creed Origins in Ägypten gelang. Dieses Kunststück wiederholte man 2018 mit dem nachfolgenden Ableger Odyssey, der Spieler in der Form von Spartiatin Kassandra bzw. Alexios auf das antike Griechenland losließ. In diesem Jahr musste man sich beim Kampf um die Krone als „Game of the Year“ jedoch dem alternden Kriegsgott Kratos in God of War geschlagen geben. Dieser hatte nämlich eindrucksvoll bewiesen, wie viel Potenzial die nordische Mythologie als tragendes Element der Handlung birgt. Zu dieser Erkenntnis dürfte man letztlich auch bei Ubisoft gelangt sein, weswegen man mit Assassin’s Creed Valhalla nun selbst den Weg der Wikinger einschlägt. Ob es sich dabei aber nur um einen müden Abklatsch handelt oder man tatsächlich das Zeug zum „Game of the Year“ 2020 hat, das verraten wir euch mit unserem Review.

Vinland Saga trifft auf Vikings

Assassin’s Creed Valhalla knüpft handlungstechnisch direkt an den Vorgänger Odyssey an, zumindest was die Gegenwart betrifft. Darin befindet sich nämlich Protagonistin Layla Hassan, ihres Zeichen eine abtrünnige Forscherin des Mega-Konzerns Abstergo. Dieser agiert als moderne Organisation der Templer, um hinter den Kulissen die Geschicke der Welt zu lenken. Ihnen entgegenstellt sich die Bruderschaft der Assassinen, nicht nur im Hier und Jetzt, sondern auch schon seit mehreren Jahrhunderten. Aktuell sind die Probleme jedoch größer als je zuvor, denn die Welt steht vor dem Kollaps. Die einzige Möglichkeit, eine anstehende Katastrophe zu verhindern liegt in den Erinnerungen eines Wikingers, dessen Überreste in Nordamerika begraben liegen. Hier handelt es sich um Eivor, wahlweise männlich oder weiblich, der die einzige Antwort auf eine Rettung der Welt so wie wir sie kennen, besitzt. Also ab in den Animus und ran ans Werk! Was im Prolog zunächst noch im Kindesalter und einer vermeintlich friedlichen Feier unter Wikingern beginnt, nimmt schon schnell finstere Züge an, als ein verfeindeter Clan überraschend angreift. Das Fest nimmt eine dramatische Wendung, ehe Ihr euch ganze siebzehn Winter später in der Person des erwachsenen Eivor wiederfindet, mit nur einem Ziel vor Augen: Rache! Das ist jedoch nur der Startschuss für eine Geschichte, die bis in die Königshäuser Englands reicht und so einige Geheimnisse noch offenbaren wird.  

Layla wandelt diesmal auf den Spuren von Wikinger Eivor

Notiz am Rande: Historische Vorkenntnisse zu Assassin’s Creed Valhalla sind natürlich nicht notwendig, können aber definitiv schaden. Einen großen Anteil an der Beliebtheit der Wikinger in der heutigen Zeit trägt allen voran die gleichnamige Serie Vikings, die seit 2013 läuft und bereits sechs Staffeln umfasst. Im Mittelpunkt darin stehen Wikinger-Legende Ragnar Lodbrok sowie seine Söhne, die auch in Assassin’s Creed eine wichtige Rolle spielen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Valhalla besonders von seinen hervorragenden Nebencharakteren lebt, darunter euer Stiefbruder Sigurd oder dem ungezügelten Ivar Ragnarsson. Aber auch historisch verankerte Namen wie die Jomsvikinger oder Parallelen zum Erfolgs-Manga und Anime Vinland Saga finden sich im aktuellen Abenteuer wieder, weswegen sich Kenner auf Anhieb heimisch fühlen. All diese Umstände sorgen dafür, dass man mit den Protagonisten endlich einmal wieder mitfiebert und eine Bindung aufbaut, genauso wie damals schon bei Serien-Liebling Ezio Auditore und seinem Gefolge. Ganz zu schweigen von Eivor selbst, der in vielen Situationen den Charme und die Abgebrühtheit eines gewissen grauhaarigen Hexers vorweist.

Darf ich vorstellen: Ivar Ragnarsson, der heimliche Star in Valhalla

Willkommen in Nordvege und Englaland

Vorhang auf für die Wikinger! Nach Ägypten und Griechenland folgt nun der Norden, wo Ihr diesmal zunächst Norwegen und kurz danach das schöne England unsicher macht. Aus dem sicheren Hafen der Heimat vertrieben gilt es sich hier neu niederzulassen, wie es schon die Söhne von Ragnar Lodbrok etliche Winter vor euch getan haben. Diese haben mit den Herrschern von England die Länder auf mehrere Regionen aufgeteilt, wovon eines den brutalen Wikingern zugesprochen wurde. So glaubt man zumindest, doch die Realität sieht anders aus. Die Ankunft erfolgt eher unfreundlich und ruft kurz darauf direkt ein neues Gameplay-Element auf den Plan: Den Aufbau des Lagers sowie die Plünderung von Dörfern. Eine Heimatstätte zu errichten kostet Ressourcen, die Ihr euch als Invasoren natürlich auch erst erkämpfen müsst. Mit Boot und Besatzung schippert Ihr fortan quer durch England und geht dort an Land, wo es etwas zu erbeuten gibt. Nur so kann nach und nach das Lager bis zu sechsmal ausgebaut werden, ehe eine florierende Stadt zu Eivors Füßen liegt. Doch der Weg dahin ist ein steiniger.

Sieh es dir an Eivor! Das ist unser Königreich! Alles was das Licht berührt

Gelegenheiten zu Plünderungen werden klar ersichtlich auf den angenehm großen und übersichtlichen Karten verzeichnet. Diese fallen mit insgesamt 94 km² Landmasse und 26 km² Wasserfläche im Vergleich zum antiken Griechenland mit 130 km² Landmasse bzw. 126 km² Wasserfläche deutlich kleiner und angenehmer aus. Selbiges gilt auch für den Einsatz von Icons. Wo früher unzählige Fragezeichen und Quest-Markierungen die Landschaft pflasterten, so ergibt sich in Valhalla ein völlig anderes Bild. Aussichtspunkte wurden deutlich reduziert und geben nur noch Preis, wo ein Schatz, ein Artefakt oder ein Rätsel verborgen liegt. Bei den Schätzen handelt es sich entweder um klassische Ressourcen wie Eisenerz und Leder, oder um sogenannte Reichtümer. Diese beinhalten entweder Wertvolles wie Kohlebarren zur Verbesserung der eigenen Ausrüstung, spezielle Waffen und Rüstungen oder Runen, mit denen neue Spezialfähigkeiten erlernt werden. Artefakte hingegen sind in der Regel rein kosmetische Tätowierungen, können aber auch Schatzkarten beinhalten. Am interessantesten sind jedoch die Rätsel, die diesmal die Funktion von kurzen Nebenmissionen übernehmen. Doch Obacht: Diese werden nicht im Missionsmenü festgehalten, weswegen Aufmerksamkeit Trumpf ist. Wer sich nebenher ablenken lässt oder das Gespräch überspringt, blickt danach meist ratlos aus der Wäsche ohne zu wissen, was zu tun ist. Wer sich früher regelrecht erschlagen gefühlt hat von Nebenaktivitäten oder dem es schlichtweg zu viel des Guten war, der fühlt sich in Valhalla auf Anhieb wohl. Dennoch ist eine mehrstündige Eingewöhnungszeit zu berücksichtigen, denn im Vergleich zu Assassin’s Creed Origins und Odyssey hat sich spielerisch einiges getan.

Die Karte ist riesig, fühlt sich aber zu keinem Zeitpunkt zu viel an

Flinke Spartaner oder tödliche Medjai waren gestern

Unbeschadet von Klippen springen oder schnell laufen wie eine Gazelle, egal ob in Rüstung oder ohne, waren gestern. Auch die Augen eines Falken, der alles und jeden in eurer Umgebung erfasst, sind Geschichte. Mit Eivor steht diesmal ein Held im Fokus der hält was er verspricht: Ein kräftiger Nordmann, der sich auch genauso spielt. Das fängt beim anstrengenden Stapfen durch den Schnee an, der trägen Bewegung zu Land und im Wasser bis hin zum Kampf. Dort können Feinde wie gewohnt mit leichten und schweren Angriffen bearbeitet oder das Schild in brenzligen Situationen verwendet werden. Neu hingegen ist die Ausdaueranzeige, die sich nun bei jeder Ausweichbewegung leert. Wer dabei im Gefecht umhertänzelt wie eine Schwalbe, der wird schnell zum sterbenden Schwan. Für Fairness sorgt in diesem Fall, dass es euren Feinden nicht anders geht. Das ermöglicht eine zusätzliche taktische Komponente in Duellen mit starken Widersachern, die nun entweder mit dem Leeren der Lebensanzeige oder der Ausdaueranzeige für sich entschieden werden können. Eines steht jedoch fest: Es wird schonungslos brutal! Assassin’s Creed Valhalla bemüht sich um Authentizität und setzt diese auch gekonnt um, weswegen dutzende abgetrennte Gliedmaßen euren Weg an die Spitze ebnen werden.

Auch Katzen wollen gestreichelt werden in Assassin’s Creed Valhalla

Erfrischend neu ist diesmal auch die Rückgewinnung von Lebensenergie. In den Vorgängern füllte sich diese nach einem abgeschlossenen Gefecht oder einer Verfolgung automatisch, weswegen man stets frisch und gesund den nächsten Kampf suchen konnte. In Valhalla hingegen müssen hier schon Lebensmittel herhalten, um den Gesundheitsbalken zu füllen. Von Beerensträuchern bis hin zu fertigen Gerichten kann alles in der Umgebung gefunden und überschüssige Speisen sogar als Proviant eingepackt werden, der dann mittels Steuerkreuz jederzeit verzehrt werden kann. Wie eingangs erwähnt müssen auch die allsehenden Augen der Adler weichen und dem Raben Synin Platz machen. Der schwarzgefiederte Begleiter kann diesmal aber die Missionsziele nicht mehr exakt lokalisieren, sondern schränkt diese auf einen gewissen Radius ein. Auch Markierungen von Feinden gehören der Vergangenheit an, weswegen Eivor zum Großteil auf sich allein gestellt ist. All diese Neuerungen verstärken das Spielgefühl, das einem ab der ersten Sekunde vermittelt wird: Assassin’s Creed Valhalla will so realistisch wie möglich sein, womit man sich ganz klar an Titeln wie Red Dead Redemption 2 orientiert. Lediglich beim Klettern überzeugt man serientypisch mit unendlich Ausdauer, riesigem Geschick und Unterarmen aus Stahl.

Bündnisse sind ein wichtiger Schritt, um Fuß in England zu fassen

Ein Fähigkeitenbaum, groß wie Yggdrasil

Obwohl die Weltkarte nur so mit Gebieten und Orten zum Entdecken strotzt, kann diese nur häppchenweise erkundet werden. Dafür sorgt diesmal das sogenannte Stärkelevel, das sich weder über die Ausrüstung oder der Spielerstufe definiert, sondern dem weit umfassenden Fertigkeiten-Baum. Das Schema ist wie gewohnt simpel: Absolvierte Aufgaben bringen Erfahrungspunkte, die zum Levelanstieg führen. Ist eine neue Stufe erreicht, gibt es jedes Mal zwei Fertigkeitspunkte als Belohnung. Diese gilt es dann sinnvoll zu investieren und das will diesmal sorgfältig überlegt werden. Je nach Spielstil stehen zunächst die Sparten Nahkampf, Fernkampf und Schleichen zur Verfügung, die sich dann jeweils in weitere Unterkategorien aufteilen, je nachdem welchen Ausrüstungssatz ihr benutzt. Dieser unterscheidet bei Waffen (ein oder beidhändig) und Rüstung (Stiefel, Arme, Torso, Lende und Kopf) zwischen den einzelnen Vikinger-Clans wie zum Beispiel den Raben oder den Wölfen. Von mehr Gesundheit, Widerstand oder Schaden bis hin zu neuen Fähigkeiten lässt sich ein jeder Eivor dabei individuell gestalten und zur Not sogar umskillen. Die einzelnen Regionen Englands wurden selbstredend auch mit etappenweise steigenden Stärkelevels versehen. Damit man als Spieler den roten Faden der Handlung nicht aus den Augen verliert, heißt es fleißig Bündnisse mit den Regionen schließen. Ist das nach spannenden Story-Quests vollbracht, führt man euch einen Schritt weiter. Wer zwischendurch jedoch fleißig die Gegend erkundet, Rätsel löst, Schätze findet oder Artefakte einsammelt, kann sich den immer stärker werdenden Feinden natürlich auch schon früher stellen. Für ausreichend Abwechslung und Herausforderung ist da gesorgt, denn brutale Druidinnen, mächtige Wölfe oder früherer Wikinger unter der Flagge Ragnar Lodbroks warten ebenfalls auf ein Duell mit euch.

Hier lassen sich Fertigkeitspunkte sinnvoll aber wohl überlegt zuweisen

Dennoch gibt es trotz des vielen Lobes zumindest im technischen Bereich etwas zu bemängeln. Bedauerlicherweise merkt man dem Titel an, dass man mehr für die kommende und weniger für die aktuelle Konsolengeneration entwickelt wurde. Die Folge: Regelmäßige Probleme mit der Performance, die sich besonders mittels Screen-Tearing bemerkbar machen, selbst auf Xbox One X. Aber auch kleinere Fehler wie verfrüht abbrechende Cutscenes oder nicht enden wollende Rätsel trübten hin und wieder das Spielerlebnis. Sollte Ubisoft diese Problemchen aber bis zum Release mit einem Day One-Patch hinbekommen, dann steht dem wohl besten Ableger der Serie nichts mehr im Wege.

Auf ins Abenteuer mit Eivor! Das Stärkelevel markiert den Fortschritt

Fazit

Mit Assassin’s Creed Valhalla wagt Ubisoft etwas, das man im Vorfeld für unmöglich gehalten hätte: Man nimmt die sichere Formel von Odyssey und wirft sie komplett über den Haufen! Stattdessen tauchen Spieler ein in eine realistische, brutale Welt und durchleben eine Handlung, die sich selbst zu jedem Zeitpunkt ernst nimmt. Obwohl man sich stilistisch von einigen Vorlagen inspirieren lässt, bestechen Protagonist Eivor, sowie die gesamte Spielwelt mit viel Tiefe und Liebe zum Detail. Ein beeindruckendes Ergebnis das sich mehr als sehen lassen kann!

Positiv:

+ Packende Handlung die sich selbst sehr ernst nimmt

+ Protagonist Eivor spielt sich realistisch und erfrischend träge

+ Angenehm große und lebendige Spielwelt, die positiv kleiner als in Odyssey ausfällt

+ Unzählige Nebenaufgaben, die sich keineswegs inflationär anfühlen im Vergleich zu Vorgängern

+ Plünderungen und der Ausbau des Lagers sind eine gelungene Gameplay-Erweiterung

+ Zahlreiche Geheimnisse laden zum Entdecken ein in einer optisch schönen Umwelt

+ Sehr umfangreiches Level/Skill-System…

Negativ:

– … das vielleicht nicht jedermanns Geschmack trifft

– Hier und da trüben kleine technische Patzer das Spielerlebnis

Assassin’s Creed Valhalla erscheint am 10.November 2020 für Google Stadia, Playstation 4, Xbox One und Xbox Series, sowie am 19.November 2020 für Playstation 5.

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Written by: Manuel Barthes

Ehemaliger freier Redakteur bei Cerealkillerz