Nach den ersten 7 Stunden mit einer Vorschau-Fassung konnten wir uns jetzt endlich ausgiebig mit der finalen Version von Far Cry 6 auf der PlayStation 5 auseinandersetzen. Wurden unsere Bedenken rund um das Balancing und Gegner-KI beseitigt und kann der neueste Ableger an die erfolgreichsten Teile der Serie anknüpfen? Mehr dazu wie immer bei uns im Test.
Brutal, verstörend und gleichzeitig amüsant wie noch nie
„El Presidente“ Antón Castillo hat die fiktive, von Kuba inspirierte Karibikinsel Yara fest im Griff. Als Dani Rojas (männlich oder weiblich spielbar wie in Assassin’s Creed Valhalla) schließt ihr euch schon relativ früh im Spiel der Guerilla-Gruppe Libertad an und versucht die Terrorherrschaft des von Giancarlo Esposito (Breaking Bad) gespielten Antagonisten zu beenden. Wie schon seine Vorgänger hat Far Cry 6 eine sehr eigene Art mit heiklen Themen umzugehen. Von Menschenhandel über das laufende Exekutieren von Geiseln, wechselt der Ableger schnell mal in einer Verfolgungsjagd mit einem Pelikan oder einer Entspannungstherapie mit Füttern von Tieren und Meditieren auf Berggipfeln. Für diesen Spagat lieben Fans die Serie speziell seit Far Cry 3 und seitdem wird die Verrücktheit der einzelnen Ableger laufend aufs Neue zelebriert. Nach einer kurzen Einleitung für ein paar Stunden auf Isla Santuario steht euch die gesamte offene Welt von Yara zur Verfügung. Die Karte wirkt so umfangreich und gut bestückt wie noch nie. Story Missionen lassen sich alleine und auch im Co-Op absolvieren, mit komplett getrennten Sammeln von Erfahrungspunkte und Fortschritten. Damit hat man die Multiplayer-Möglichkeiten aus Far Cry 5 um noch ein gutes Stück erweitert und vor allem verbessert.
Es handelt sich bei der erneuten Auswahl einer Insel als Spielwiese definitiv nicht um einen Zufall. Das Spiel strotzt nur so von Anspielungen auf Far Cry 3 und auch Far Cry 3: Blood Dragon. Die Serie baut hier Stück für Stück auf den älteren Ablegern auf und hat im Kern eine überraschend packende Geschichte. Nicht nur der Bösewicht Antón Castillo, sondern der gesamte Cast des Spiels weiß zu begeistern. Von kurzen Zwischenmeldungen während Missionen, bis hin zu emotionalen Twists innerhalb der einzelnen Geschichten bleiben wenig Wünsche offen. Protagonist Dani liefert auch am laufenden Band sarkastische Anmerkungen und hat zu einigen Ereignissen innerhalb der Story seine eigenen Ansichten, was dem Charakter weitaus mehr Persönlichkeit verleiht, als noch den damals spielbaren Charakteren aus den letzten Ablegern. Vor allem Teil 5, hat hier fast ausschließlich vom überragenden Antagonisten gelebt. Die Story zieht euch sehr schnell in seinen Bann und wird trotz der Fülle an Hauptmissionen nie langweilig. Der Weg dazwischen kann mit vereinzelt langweiligen und teilweise mühsamen Missionen wie Verfolgungsjagden oder „Stiehl Fahrzeug/Gegenstand XY“ etwas generischer ausfallen, aber da euch das Spiel hier so gut wie alle Freiheiten gibt, könnt ihr jederzeit einfach auf eine spannendere Aufgabe wechseln.
Alle Wege führen zum Ziel (und der Supremo-Rucksack hilft dabei)
Jeden Charakter, den ihr auf euren Weg begegnet, verbindet zwar mit dem Hass gegenüber Antón Castillo dasselbe Ziel, aber dennoch wirkt jede einzelne Hintergrundgeschichte sehr durchdacht und oftmals überraschend emotional aufbereitet. Selbst die gewohnte Struktur, erst die einzelnen Handlager von Antón auszuschalten und sich Stück für Stück an ihn heran zu nähern, wirkt organisch in die Geschichte und den Spielverlauf eingepflegt. Egal für welche Missionen ihr euch als Erstes entscheidet, es wirkt nie wie ein falscher Weg. Was weniger gut aufgeht ist das neue Levelsystem hinter euren Waffen. Durch unzählige Mods habt ihr zwar die Freiheit auf jede Waffe eine fast beliebige Fähigkeit oder eine Modifikation zu legen, aber vom Spiel wird man kaum gezwungen, etwas davon zu nutzen.
Far Cry 6 bedient sich natürlich an sehr vielen etablierten Elementen aus den Vorgängern. Statt Türmen müssen Checkpoints und Basen erobert werden. Wege dazwischen können neben den üblichen Fahrzeugen (auch aufwertbar) zum ersten Mal mit Pferden zurück gelegt werden und euer Waffenarsenal inklusive den einzelnen Amigos (Begleiter) platzt nur so von Verrücktheiten. Elementar für viele Bereiche des Spiels ist der neue Supremo-Rucksack. Als quasi Spezialattacke aktiviert ihr hier entweder eine Raketensalve, eine EMP-Welle oder heilt euch im Notfall. Genutzt wird dieses hilfreiche Gadget sowohl im Kampf als Notlösung, sowie um beispielsweise Panzer, Helikopter und auch Geschützstellungen auszuschalten. Letzteres ist essentiell, um euch neue Air-Drop-Punkte zu ermöglichen und den Luftraum frei zu machen, damit ihr mit einem Flugzeug oder Helikopter sofort aus der Luft geholt werdet. Hier setzt Far Cry 6 auch schon in den ersten Stunden auf mehr Freiheiten und weniger Restriktionen, als noch seine Vorgänger. Dadurch stehen euch alle möglichen Fahrzeuge relativ früh im Spiel zur Verfügung und machen sehr viele Missionen, und vor allem den langen Weg dort hin, weitaus angenehmer.
Verpasste Chancen trüben das Gesamtbild
Mit allen diesen Gadgets, Features, Fahrzeugen und umfangreichen Eigenheiten vom neuesten Far Cry-Ableger, kommen leider auch wieder die üblichen technischen Ungereimtheiten und Bugs mit sich. Die größten Schwächen von Far Cry 6 finden sich in der Spiele-Balance, der Gegner-KI und der oftmals fehlenden Immersion. An Checkpoints kommt es so gut wie immer vor, dass sich unzählige Transportwägen von Gegnern aufeinander stapeln, Missionen sind unnatürlich in die Länge gezogen, mit nicht enden wollend Gegnerwellen, und allgemein glänzen die einzelnen Spezialkräfte von Antón Castillo nicht mit Situationsbewusstsein. Selbst im, für erfahrene Spieler gedachten, Action Modus entstehen auch 20-30 Stunden später Situationen, wo man mit einer der ersten selbst gebauten Waffen problemlos durch alle Missionen und Gebiete schreitet. Gegner, die sich ein paar Level über eurem befinden, brauchen dann einen Kopfschuss und 1-2 weitere auf den Körper, was meistens ausreicht um alle Patrouillen im Umkreis nicht zu alarmieren. Genauso mühsam sind leider wiederholende Pop-Up-Benachrichtigungen beim Betreten einer neuen Zone der Karte. Die Benachrichtigung deaktiviert nämlich für einige Sekunden alle Anzeigen am Bildschirm, wodurch ihr für kurze Zeit keinen Radar zur Verfügung habt. Zwar nicht immer tragisch, aber kann leider oftmals zu mühsamen Situationen im Spiel führen.
Die erwähnten Punkte sind bei weitem nicht so schlimm, wie sie teilweise noch in älteren Far Cry-Ablegern waren, aber dennoch macht Far Cry 6 so vieles besser, dass man auch erwartet hätte, einen wirklichen Sprung in der Gegner-KI und der Welt um einem herum zu sehen. An kleinen, aber feinen Details fehlt es dem Spiel dafür absolut nicht. Weinflaschen auf Tischen zerspringen inklusive der gesamten Flüssigkeit darin, jede auffindbare Notiz ist amüsant verfasst worden und selbst die unzähligen Minispiele und Schatzsuchen machen endlich wieder richtig Spaß. Sogar Waffen wie der Discos Locos zaubern mir nach unzähligen Stunden mit dem Spiel noch ein Lächeln aufs Gesicht. Wer in all den turbulenten Ereignissen während der Storymissionen und dem ständig ausbrechenden Chaos im Spiel vertieft bleiben will, muss lernen oftmals ein Auge bei der Spielebalance und den einzelnen Gegenspielern ein Auge zuzudrücken. Selbst neue gepanzerte Gegner und Scharfschützen, die Rauchgranaten nutzen, retten da relativ wenig.
Der Teufel liegt im Detail, die Hähne blutig im Ring
Anpassungsmöglichkeiten und Waffenvielfalt bleiben ein großes Standbein des Spiels. Die Liebe zum Detail ist erkennbar: Von Gadgets über Farben auf euren Waffen und sogar einzelne Hupen eurer Fahrzeuge lassen sich nach Belieben ändern. Wer also ein personalisiertes Far Cry-Erlebnis sucht, wird in Far Cry 6 so glücklich wie in keinem anderen Ableger der Serie. In diesen Bereichen mangelt es dem Titel an nichts. Mit dem Basenbau, der in New Dawn etabliert wurde, und in Assassin’s Creed Valhalla ein wesentlicher Bestandteil des Spiels war, bekommt ihr in Far Cry 6 die bisher beste Version dieses Features serviert. Ressourcen sammeln ist wieder so organisch und simpel gestaltet wie in Far Cry Primal und lenkt euch nicht wirklich von den restlichen Aktivitäten im Spiel ab. Mit den einzelnen Upgrades wird euch so gut wie alles im Spiel erleichtert, von besseren Waffen, mehr Schatzkarten, bis hin zu mehr Rekruten für die Los Bandidos Aufträge.
Falls euch nach der umfangreichen Kampagne, den Yaran-Geschichten, Schatzsuchen und den unzähligen Posten, die ihr erobern könnt, noch langweilig sein sollte, gibt es über die „Special Operations“ noch separate vollwertige Missionen und in den einzelnen Hauptlagern nette Minispiele. Entdeckt haben wir hier bisher ein simples Domino-Spiel und die Möglichkeit zu Hahnenkämpfen, welche euch bis zu 19 der Vögel im Spiel verteilt sammeln lässt, um mit ihnen im Stil eines eingeschränkten Fighting Games gegeneinander anzutreten. PETA wird sich hierzu vermutlich wieder – wie damals zum Walfang bei Assassin’s Creed Black Flag -, zu Wort melden, aber das Minispiel ist wirklich sehr gelungen und für Fans von „El Pollo Loco“ gibt es auch eine sehr überraschende Nebenmission.
Technisch hat der Titel einen weiten Sprung gegenüber der Vorschau-Fassung gemacht, die wir vor einigen Wochen antesten durften. Sowohl auf der Xbox Series X, als auch auf der von uns getesteten PS5 läuft das Spiel in 4K und 60fps. Framerate-Einbrüche sind uns keine einzigen untergekommen. Vor allem die Weitsicht in manchen Spielabschnitten ist umwerfend und das Spiel erlaubt euch oftmals ein wenig die Größe und Schönheit der Insel zu genießen. Bis auf leichte Clipping-Fehler und die bereits ausführlich beschriebenen Balancing/KI-Schnitzer mussten wir mit ausgesprochen wenigen Bugs kämpfen. In 30-40 Stunden ist uns auch kein einziger Absturz des Spiels oder der Konsole untergekommen. Für einen Far Cry-Ableger zum Launch doch ausgesprochen überraschend!
Far Cry 6 erscheint am 07. Oktober 2021 für Xbox Series X|S, PlayStation 5, Xbox One, PlayStation 4, Stadia, Amazon Luna sowie für Windows PC exklusiv im Epic Games Store. Hier könnt ihr Far Cry 6 bereits vorbestellen.
Fazit
Far Cry 6 ist in sehr vielen Bereichen der bisher beste und definitiv der umfangreichste Ableger der Serie. Leider halten eine nicht zu Ende gedachte Spielebalance und eine wirklich dürftige Gegner-KI das Spiel davon ab, sein volles Potenzial auszunutzen. Dafür überzeugen die einzelnen Charakter, die gesamte Spielwelt und die gelungene Waffen und Aktivitätenvielfalt umso mehr. Sowohl Neueinsteiger als auch Fans der Serie können hier ohne Bedenken zugreifen.
Positiv
+ Yara präsentiert sich als bisher größte und vor allem umfangreichste Spielwelt der Serie
+ Nicht nur der Antagonist, sondern auch die einzelnen storyrelevanten Charaktere begeistern mit ihren Geschichten
+ Nebenaktivitäten überraschend abwechslungsreich und oftmals amüsanten ausgefallen
+ Waffenvielfalt und die übliche Verrücktheiten der Serie überzeugen auf ganzer Linie
Negativ
– Gegner- und Partner-KI weiterhin das größte Manko der Serie
– Spielbalance wirkt zusammen mit dem neuen Levelsystem nicht komplett zu Ende gedacht