Nach mehreren Betas und einer Demo (wir berichteten) erscheint nun nach sieben Jahren der Nachfolger von Street Fighter V. Dessen Release war eher enttäuschend. Wir haben uns daher für euch die PC Version von Street Fighter 6 einmal angeschaut. Diesmal scheint Capcom seine Hausaufgaben aber grundsätzlich besser gemacht zu haben. Im Test setzen wir den Fokus gezielt auf den Singleplayer Modus und die damit verbundene Story. Das Spiel erscheint für PC, PS4, PS5 sowie XBox Series X|S.
Breit gebaut, braun gebrannt, 100 Kilo Hantelbank
Street Fighter 6 (nun ohne römische Zahl) teilt sich in drei Hauptbereiche auf. Diese Bereiche lauten Fighting Ground, World Tour und Battlehub. Der Battlehub stellt dabei die Online Umgebung dar. Hinter Fighting Ground verstecken sich die Standard Modi, wie Training, Arcade Mode und Versus. Das Kernstück in Sachen Singleplayer ist aber der World Tour Modus.
In diesem erstellt man einen Avatar, mit dem man in einer Open World Umgebung die Story des Spiels erlebt. Der Charakter Editor ist dabei relativ mächtig und lässt einem viele Möglichkeiten offen. Auch anatomisch fragwürdige Konstruktionen sind absolut kein Problem. Wer später einmal mit seinem Avatar nicht zufrieden sein sollte, kann diesen in einem Shop jederzeit wieder ändern. Die Körpergröße hat dabei auch reale Konsequenzen im Spiel. Wer kleiner ist, wird z.B. schwerer getroffen. Spielbar ist aber alles, da der Schwierigkeitsgrad erst recht spät anzieht und man daher nicht auf solche Gedankenspiele angewiesen ist. Was einem außerdem bewusst sein sollte, ist, dass der gebaute Avatar auch im Battle Hub für den Rest der Welt zu sehen ist.
Capcom denkt an Anfänger und Casualspieler
Wenn der Avatar in die Welt entlassen wird, beginnt man als Schüler von Luke. Dieser bringt einem die grundlegenden Kontrollmechanismen dabei. Das Spiel startet zwangsweise im neuen „Modern“ Kontrollschema, dass das sechs Button Layout der Vorgänger (in SF6 das „Classic“ Kontrollschema) und das ebenfalls neue Kontrollschema „Dynamic“ ergänzt. Modern reduziert die Möglichkeiten auf ein vier Button Layout (Leicht, Mittel, Hart, Special) und unterstützt mit dem Assist Button für automatische Combos.
Insbesondere für Controller Spieler und Anfänger bietet dieses Schema einige Vorteile. Für Special Moves sind, wie in z.B. Granblue Fantasy: Versus oder Duel Fighters, ausschließlich eine Richtung + Special Knopf nötig. Dafür verzichtet man bei diesen Moves auf 20% des Schadens. Zudem verliert man den Zugriff auf bestimmte normale Attacken. Dynamic geht damit noch einen Schritt weiter und entscheidet beim Druck auf einen von drei Knöpfen, welche Attacke/Combo am besten ist. Dabei kommt es z.B. auf die Distanz zum Gegner an. Dieser Modus richtet sich dann an absolute Beginner oder z.B zum Spielen auf einer Party. Wir finden alle drei Varianten gelungen. Innerhalb der Fighting Game Community wird sogar diskutiert, ob „Modern“ auf Turnieren eine ernstzunehmende Alternative darstellt, da man u.a. schneller bestimmte Moves eingeben kann, als das mit Classic möglich wäre.
Metro City – Eine Stadt in der sich jeder prügeln möchte
Nach dem Tutorial mit Luke, bei dem man seinen Rivalen Bosch (der sich dann recht schnell wieder vertschüsst) kennenlernt, darf man dann aber das gewünschte Kontrollschema frei wählen. Und ab dann kann man sich in Metro City (fast) frei bewegen. Was dabei sofort auffällt ist, dass annähernd jeder Bewohner dieser Stadt bereit ist, sich auf offener Straße zu prügeln. Egal ob alte Oma, Gangmitglied oder Anzugträger, fast jeder kann angegriffen oder zum Kampf aufgefordert werden. Dafür bekommt man dann Erfahrungspunkte um aufzuleveln. Einerseits levelt dabei der gesamte Charakter für bessere Stats und passive Skills und andererseits der gewählte Stil.
Diese Stile sind das interessanteste Feature der World Tour. Nach und nach schaltet man nämlich die verschiedenen Kämpfer des Spiels als Meister frei. Diese geben den grundlegenden Kampfstil vor, den man zwischen den Kämpfen aber jederzeit wechseln kann. Gleichzeitig schaltet man durch das Aufleveln dieser Stile neue Special Moves zum Stil frei. Und diese darf man dann frei kombinieren. Wer sich also wie Blanka unter Strom setzen, aber gleichzeitig dehnbare Gliedmaßen wie Dhalsim haben möchte, der kann das tun. Genauso kann ein bulliger Kämpfer sich an Manons Ballet Moves bedienen und dazu den klassischen Shoryuken kombinieren. Sieht zwar unfreiwillig komisch aus, ergibt aber durchaus einen potentiell effektiven Kampfstil.
Sensei Edmund Honda oder doch lieber Ken Masters?
Um neue Meister freizuschalten, muss man diese aber erst in der Stadt oder anderswo auf der Welt finden. Darum lohnt es sich auch die Nebenquests zu suchen und zu erledigen. Wenn also ein NPC sagt, er sucht einen Statisten mit Judo Gi und man kehrt mit diesem Outfit zu ihm zurück, dann findet man sich schnell zu Dreharbeiten in Frankreich wieder. Dort lernt man Manon kennen und kann ihren Stil erlernen. Jede dieser Interaktionen und die gesamte Story werden dabei mit Zwischensequenzen in der ingame Grafik dargestellt. Wer seinem Avatar also ein Blanka-Chan Kostüm für bessere Stats angezogen hat, der wird so nur für weitere Komik sorgen. Aber dankenswerterweise kann man zwar Items für Stats anziehen, aber andere Klamotten darstellen lassen. Ein netter Kniff, um nicht mit Frankensteins Kleidermonster spielen zu müssen.
Capcom hat den Grundton des Spiels allerdings sowieso sehr stark auf Slapstickhumor gedrillt. Der eigene Charakter ist die meiste Zeit etwas überfordert mit den Situationen, in denen er landet. Sei es ein Interview, als Sparringpartner oder einfach nur als Zuseher. Erst zu einem späten Zeitpunkt wird die gesamte Story ernster und nimmt das Humorelement zurück. Spätestens wenn man in der Hauptstory als Wissenschaftler verkleidet Putzroboter auf einem Flugzeugträger verprügelt, weiß man, dass hier nichts heilig ist. Abseits dessen kann man sich natürlich auch auf den Grind konzentrieren und Stile und Verhältnis zu den Meistern maximieren. Im Zuge dessen schaltet man dann auch weitere Background- und Storyinfos der der Meister frei.
Seltsame Entscheidungen im Gamedesign trüben den Spaß etwas
Die Quests im World Tour Modus gehen dabei sehr selten über „sammle X“, „kämpf mit y“ hinaus. Wie oben erwähnt, muss man manchmal auch das passende Kleidungsstück ausrüsten, aber viel komplexer wird es nicht. Um die einzelnen Stile zu leveln und sich mit seinen Meistern gutzustellen muss man zudem viele Kämpfe grinden. Ein bisschen Abwechslung bringen dabei Minispiele, bei denen man Buttons nachdrücken muss, um Pizza zu backen oder klassisch wie in SF2 ein Auto zerlegt. Auch das Basketball Parry Spiel aus Street Fighter III wurde inkludiert. Allgemein ist die ganze Welt voll von Anspielungen auf andere Street Fighter Teile und allgemein Capcom Spiele. Wer kann sich z.B. an Retsu aus dem Original Street Fighter erinnern? Und Stadtbewohner im Cosplay von bekannten Charakteren haben ebenfalls ihren Charme. Umso verwunderlicher ist es, dass trotz dieser Detailverliebtheit gewisse Gameplayelemente etwas seltsam erscheinen.
Einerseits gibt einem das Spiel die Währung Zenny an die Hand mit dem man Ausrüstung und Heilitems kaufen kann. Gleichzeitig geht einem das Geld nie aus, wenn man nicht absolut alles kauft. Außerdem muss man relativ wenig Zeit in bessere Ausrüstung investieren. Wir haben z.B. ein Kostüm ausgewählt und dieses maximal geupgraded und uns danach nie wieder darum gekümmert, wenn es keine Quest verlangt hat. Dasselbe gilt für Flugtickets, um zu den anderen Schauplätzen zu kommen. Das Spiel teilt einem deutlich mit, dass man diese Tickets braucht und dass man sie von Gegnern und Quests bekommt. Da aber neben Metro City nur eine weitere Location eine richtige Stadt ist und alle anderen Locations nur dazu da sind um kurz mit einem Meister zu sprechen, schwimmt man sehr bald in Flugtickets. In allen Fällen erschließt sich nicht, wofür die Ressource überhaupt im Spiel ist. Dadurch wirken die RPG Elemente aufgepropft und nicht durchdacht. Auch dass jede Seitengasse eher wie ein schlauchiges Hindernis wirkt und der eigene Charakter nur sehr eingeschränkt bewegungsfähig ist (Hecken sind ein unüberwindbares Hindernis) wirken wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.
Shadaloo ist nicht totzukriegen
Gleichzeitig sinkt die Wertigkeit der Quests in Kombination mit dem recht faden Design. Man ertappt sich dabei, wie man sich manchmal schlicht durch das Quicktravel Feature klickt, um Quests abzuschließen. Die wenigsten der Aufgaben haben nämlich eine interessante Story dahinter. Zwar gibt es überall etwas zu sehen, aber nichts davon interagiert mit dem Spieler im Sinne von spontanen Quests. Es gibt keinen Hütchenspieler am Straßenrand, keine kämpfende Gruppe bei der man vermittelt etcetc. Jede Quest ist von Beginn an markiert und kann stumpf abgearbeitet werden. Damit gibt es ab einem gewissen Zeitpunkt fast keinen Grund mehr zu Fuß durch die Stadt zu laufen.
Gerade rechtzeitig, nachdem man fast alle Meister gefunden hat, steigt die Motivation durch eine Storywendung wieder. Wenig überraschend ist eine gewisse böse Organisation nun irgendwie doch nicht ganz weg vom Fenster. An das Story Erlebnis eines Mortal Kombat Spiels kommt man so zwar leider nicht heran, aber ab diesem Zeitpunkt lebt der World Tour Modus wenigstens nicht nur von Slapstick Humor und Nostalgie allein.
Der Rest vom Fest – Battle Hub und Fighting Ground
In den anderen beiden Modi tritt die Story dann endgültig wieder in den Hintergrund. Im Fighting Ground versteckt sich der Arcade Mode, der auf 5 oder 12 Levels eingestellt werden kann. Hier bietet sich die klassische Möglichkeit durch eine Reihe von Kämpfen Storyschnipsel in Form von Standbildern mit Text freizuschalten. Als weitere Belohnung gibt es dafür Artworks und „Kudos“. Letztere bekommt man charakterspezifisch und in fast jedem Modus. Diese schalten Titel für die eigene Titlecard frei, die in Online Kämpfen angezeigt wird.
Wer sich noch nicht bereit fühlt, für den stellt Street Fighter 6 einige Möglichkeiten zum Lernen bereit. Jeder Charakter hat ein eigenes Tutorial, dass man sich für Classic oder für Modern Controlls anschauen kann, bei dem der Basis Gameplan erklärt wird. Zudem gibt es Trials in denen erste Combos in verschiedenen Schwierigkeitsstufen zum Nachdrücken dabei sind. Das Highlight ist allerdings der Trainingsmodus, der eigentlich keine Wünsche mehr offen lässt. Das Framedata Display zeigt wunderbar aufgeschlüsselt, wie sich die eigenen Moves verhalten. Kombiniert man das mit vorab gespeicherten Szenarios (z.B. Anti-Air Training) oder selbst aufgenommen Moves des Dummies hat man jedes Tool zur Hand, um sich zu verbessern. Dieser Standard sollte in jedem Fall gehalten werden.
Goldstandard Rollback Netcode mit an Bord
In den Betas konnte man den Netcode von Street Fighter 6 bereits live ausprobieren. Während unserer Testphase war das Online Spielen zwar nur teilweise geöffnet, aber wir können die guten Eindrücke der Betas bestätigen. Teilweise war es möglich gegen Spieler aus Nordamerika zu akzeptablen Konditionen anzutreten. Innerhalb Europas hatten wir dagegen ein Erlebnis, dass offline Gameplay so nahe kam, dass nur extrem anspruchsvollen Spieler noch stört. Auch die Ladezeiten und die Möglichkeit während man auf Gegner wartet anderen Spielern zuzusehen oder den Trainingsmodus zu nutzen funktionierten einwandfrei. Hier gibt es kaum etwas zu meckern und das Lobby System des Battle Hubs ist angenehmer als das von z.B. Guilty Gear -STRIVE-.
Wer von Standardkämpfen die Nase voll hat, kann sich zur Abwechslung das Extreme Battle geben. In diesem Modus gibt es spezielle Regeln, wie z.B. dass derjenige gewinnt, der zuerst fünf Aufgaben im Kampf löst. Gleichzeitig können Bomben, Stromschläge oder ein Stier in der Arena erscheinen und die Kämpfe behindern. Als nettes Minispiel eignet sich das alle Mal für ein paar schnelle Runden Street Fighter. Schade ist nur, dass es nur 10 verschiedene Modifier gibt. Fünf davon fallen in die Kategorie Rules und die anderen fünf in die Kategorie Gimmicks. Wenn man die Option eine Kategorie wegzulassen dazuzählt, hat man in Summe 35 verschiedene Kombinationen. Unser Favorit war das Gimmick des Bull Runs, bei dem ein wilder Stier versucht die Kämpfer niederzureißen.
Hiphop als Ankerpunkt der Präsentation von Street Fighter 6
Street Fighter 6 konzentriert sich in seiner Präsentation auf die Implementierung von Elementen aus der Hiphop Subkultur. Sei es durch die Allgegenwart von Graffitis oder den Soundtrack, der viel Rap/Hip Hop Beats beinhaltet. Dabei hat man sich für Eigenkompositionen entschieden und sich keine Musik extra lizensiert. Grafisch gibt es eigentlich auch nichts zu meckern. Im Vergleich mit dem direkten Vorgänger gewinnt unserer Meinung nach 6 in jeder Kategorie. Insbesondere die Überarbeitung der Veteranen hat uns sehr gut gefallen. Egal ob Ken, der sich storybedingt verstecken muss, in einem wenig gepflegten Look oder Jamie, der Neuzugang, der dank einem „Kräutertee“ den Drunken Master Stil pflegt, alle Figuren haben Charme und sind gleichzeitig wunderbar animiert. Einzig die Clipping Fehler in Sachen Haare und bei bestimmten Kombinationen von Avataren und deren Klamotten sind uns negativ aufgefallen.
Der gesamte Charakter Roster ist dabei auch sehr gut ausbalanciert. 18 Charaktere inklusive sechs Newcomern bieten genug Abwechslung und die erste Runde DLC ist bereits angekündigt und in den Startlöchern. Ob aber die Gameplay Balance gewahrt bleibt wird, aber erst die Zeit zeigen. Die neuen Gameplayelemente wie das Drive System waren aber auf jeden Fall unterhaltsam und bieten viel taktische Tiefe, ob man seine Ressourcen für das letzte bisschen Schaden ausgibt oder sich eine Reserve für z.B. Overdrive Moves zurückhält. Zu guter Letzt wollen wir noch das Kommentator Feature erwähnen. Im normalen Versus Mode kann man englisch- und japanischsprachige Kommentatoren auswählen und kombinieren, die dann die Matches (ähnlich wie in Fifa) kommentieren. Dabei gibt es sogar die Möglichkeit, diese parteiisch für eine Seite zu machen. Ein nettes Feature wie wir finden, dass auf die Fighting Game Community abzielt, die Namen wie Tasty Steve und Jchensor von diversen Events bereits kennen. Für die japanischen Kommentatoren gibt auch Untertitel, wenn gewünscht.
Fazit
Street Fighter 6 macht vieles Richtig, bei dem sein Vorgänger zum Release versagt hat. World Tour ist eine Fundgrube an kleinen Details. Das Zusammenbauen und ständige verändern des eigenen Kämpfers bietet einiges an Möglichkeiten. Umso mehr ist es schade, dass das Quest Design und weite Strecken der Story einfach nicht richtig zünden wollen und wenig Interaktion bieten. Hier ist viel Potential auf der Strecke geblieben. Wo Street Fighter 6 allerdings absolut überzeugen kann ist das Gameplay als solches und die Präsentation der Kämpfe. Das neue Drive System bietet viel spielerische Tiefe und ermöglicht spannende Kämpfe vom Start der Runde weg. Auch die Überarbeitung der Veteranen ist gelungen. In Summe ist Street Fighter 6 der stärkste Ableger der Serie und braucht sich neben seinen Genre Kollegen nicht verstecken. Einzig die Versäumnisse des Open World Modus trüben den Gesamteindruck.
Positiv
- Das Gameplay ist knackig und das neue Drive System macht Spaß
- Zugänglichkeit auch für Anfänger durch drei verschiedene Kontrollschemen
- Viele Details für Fans von Street Fighter und Capcom Games in World Tour
- Traningsmodus lässt keine Wünsche offen
- Rollback Netcode sorgte in unseren Tests für ein sehr gutes Online Erlebnis
Negativ
- Seltsame Designentscheidungen und inflationäre Ressourcen in World Tour
- Langweiliges Questdesign (hauptsächlich Fetchquests)
- Keine wichtige Einflussnahme auf die Story durch den Spieler, alles ist vorgegeben
- Story braucht deutlich Zeit, bis sie Fahrt aufnimmt und wird auch dann kein Burner