Animal Crossing: New Horizons – Kapitalismus hat kein Endziel

Die Chancen, dass ihr in diesen Zeiten gerade fleißig Animal Crossing: New Horizons auf eurer Nintendo Switch zockt, sind ziemlich hoch, denn die eine Hälfte der aktuellen Gamer-Community debattiert ausgiebig das wirre Ende von Final Fantasy VII Remake, und die andere karrt massig Sternis für Tom Nook ran. Doch während Final Fantasy zumindest zu einem Ende kommt, wollen in Animal Crossing bis in alle Unendlichkeit Schulden beglichen werden. Was wie harte Arbeit klingt, scheint dennoch so vielen Leuten Spaß zu machen – wir haben den Titel bereits in einem Review ausgiebig bewertet, doch nun wird es Zeit Folgefragen zu stellen: Wie viel Spätkapitalsimus steckt wirklich in Animal Crossing? Und verdient Tom Nook wirklich einen Platz zwischen den größten Spieleantagonisten aller Zeiten?

Der Waschbär in seinem Element

Völlig alleine mit fremden Leuten auf eine einsame Insel zu ziehen, das klingt ein wenig wie der Beginn einer Sekte, die später Blutopfer fordert – doch in diesem Fall kommt es viel schlimmer! In Nullkommanix befindet sich der Spieleavatar in Tom Nooks perfider Schuldenkneifzange: Wer nicht in einem Zelt schlafen möchte, kann sich ein Haus finanzieren und dieses sogar nur durch Nook-Meilen abbezahlen. Ja richtig gehört: Tom Nook hat neben den Sternis noch eine Begleitwährung eingeführt, die er nach sich selbst benannt hat. Aber wieso auch nicht, schließlich ist er der Herrscher über die Insel und hat ein Monopol auf das gesamte Finanzwesen – welches er auch ausnutzt.

Tom Nook grinst immer, sobald man sein Büro betritt, denn er denkt: „Hier rollt das Geld an! Der Typ macht mich reich!“

Innerhalb kürzester Zeit wird man zum Inselsprecher befördert, doch der Titel ist genauso hohl und leer wie der Kopf der Leute, die auf Tom Nooks Betrugsmasche hereinfallen. Als Inselsprecher erhält man die gesamte Verantwortung ohne jemals eine Bezahlung oder Beförderung zu erhalten. So erschreckend es auch klingen mag, aber der erste Rekrut in Nooks kapitalistischem System ist der Spieler selbst. Als Laufbursche erledigt man die wichtigsten Punkte auf seiner Agenda, bleibt für ihn aber nur der „Inselsprecher“; oder besser gesagt, der namenlose Schuldenbegleicher – ein Titel, der sich auf dem Pass jeden selbstkritischen Animal Crossing-Spielers finden sollte.

So wie die Infrastruktur der Insel ausgebaut wird, baut auch Tom Nook seinen Machtapparat aus. Zunächst erhalten seine beiden Neffen in feinster Vetternwirtschaft den einzigen Laden der Insel und kontrollieren den gesamten Handel. Nepp und Schlepp verstecken sich mit ihrer Position nicht gerade hinter dem Ofen, fragen manchmal offen, ob sie dem Kunden sonst noch etwas andrehen können oder wie viel Sternis ein Leben wohl wert ist.

Wer so offen spricht, ist sich dem Schutz einer höher gestellten Person sicher – aber welcher wohl?

In Tom Nooks kapitalistischem Endspiel spielt noch eine weitere Person eine Rolle: Melinda wird später als Ansprechperson für Human Relations eingesetzt. Bei ihr kann man heimlich andere Inselbewohner anschwärzen. Wenn der Fuchs von nebenan nicht mehr genug konsumiert oder der Hase von der anderen Seite der Insel plötzlich kommunistisches Gedankengut rezitiert, sollte man schnell bei Melinda vorbeischauen. Melinda wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als Strohmann ausgeliefert, sobald Tom Nooks Unternehmung von den Behörden aufgedeckt wird – während Melinda ins Gefängnis geht, versteckt sich Nook mit seinen Neffen auf der Yacht „Nooky McNookface“.

„Ursula hat ein Poster von Karl Marx an der Wand hängen und liest subversive Bücher.“

In dieser letzten Phase explodieren auch die Preise, die Tom Nook verlangt: Eine Bretterrampe? 128.000 Sternis. Ein Grundstück für einen neuen Inselbewohner vorbereiten – ein Bewohner, der dann ebenfalls in den kapitalistischen Sog gezogen wird, von dem Tom Nook nur profitiert? Trotzdem 10.000 Sternis, bar auf die Pfote. Der Preis, um das Eigenheim ein wenig zu vergrößern? 198.000 Sternis und das erstgeborene Kind!

Das mit dem erstgeborenen Kind steht nur im Kleingedruckten

Ist Tom Nook also eines der größten Scheusale der Videospielgeschichte und in einem Atemzug mit Massenmördern wie Sephiroth und Albert Wesker zu nennen? Nun, die Antwort ist überraschenderweise nein! Man muss bedenken, dass Nook trotz all der bestehenden Schulden nie einen Gerichtsvollzieher vorbeischickt oder Nepp und Schlepp mit einem Baseballschläger, um dem Spieler die Beine zu brechen. Tom Nook ist ein schlauer Geschäftsmann, dessen Methoden aus Grundstücksbesitz und Bonusprogramm gut greifen, doch im Endeffekt ist er nur ein Symptom des Systems selbst. Der Spieler entscheidet aus freien Stücken, auf die Insel zu ziehen, den Kapitalismus als seinen neuen Gott anzunehmen, um dann im Konsumrausch die Ressourcen Insel für Insel auszubeuten.

Erst wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Barsch gefischt und die letzte Nasenschrecke ins Museum gesteckt wurde, werdet ihr merken, dass man Sternis nicht essen kann…

In diesem Sinne: Animal Crossing-Spieler dieser Welt, vereinigt euch! Nehmen wir die Werkzeuge, die uns die Bourgeoisie in den Schoss gelegt hat und verwenden wir sie als Waffen gegen sie! Wenn die Reichen uns nur rohe Früchte zu essen geben wollen, dann essen wir eben die Reichen! Alle Macht dem Volk! Bretterrampen und Häuser für jeden! Nieder mit dem System! Nie wieder Unkraut pflücken!

Und wenn ihr schon dabei seid, vergesst bitte nicht meine Insel zu besuchen und ein paar Geschenke dazulassen. Golderz und Sterni-Coupons wären mir am liebsten, aber ich freue mich auch über alles andere von hohem Wert. Danke im Voraus!

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Written by: Julian Bieder

Retro-Zocker, RPG-Allrounder und eifriger Trophäenjäger